Zirkuskind
seiner Frau anzuvertrauen.
Meher stopfte die schwangere Zeitbombe in ein Gästebett des Hauses Daruwalla an
der alten Ridge Road und behandelte sie wie ein kleines Mädchen, dem man gerade
die Mandeln herausgerupft hatte. Obwohl es Vera zweifellos beruhigte, bemuttert
zu werden, wurde ihr Problem dadurch nicht gelöst; und es war auch kein großer Trost
für sie, daß Meher behauptete, sie selbst habe die Qualen und das Blut bei der Geburt
schnell vergessen. Über die Jahre hinweg seien ihr nur die positiven Seiten dieses
Erlebnisses im Gedächtnis haftengeblieben, erklärte Meher der am Boden zerstörten
Schauspielerin.
Lowji gegenüber
gab sich Meher weniger optimistisch. »Eine ganz schön groteske und undankbare Situation,
in die du uns da gebracht hast«, erklärte sie ihrem Mann. Dann verschlimmerte sich
die Situation noch.
Am nächsten Tag
rief Gordon Hathaway vom Drehort in einem Slum aus Dr. Daruwalla senior an und teilte
ihm beunruhigt mit, daß Veronica Rose zwischen den Szenenaufnahmen kollabiert sei.
Eigentlich stimmte das nicht ganz. Veras sogenannter Kollaps hatte absolut nichts
mit der ungewollten Schwangerschaft zu tun; sie war nur deshalb in Ohnmacht gefallen,
weil eine Kuh sie abgeleckt und auf sie geniest hatte. Freilich war Vera deshalb
ziemlich durcheinander, aber der Zwischenfall war – wie so viele alltägliche Ereignisse
in einem echten Slum – von der Horde Schaulustiger, die die wirre Geschichte berichteten,
ungenau beobachtet und grundfalsch interpretiert worden.
Farrokh konnte sich
nicht erinnern, ob es im Sommer 1949 [176] im Bereich der Sophia Zuber Road ansatzweise
einen echten Slum gegeben hatte; er erinnerte sich nur, daß in dieser Gegend vorwiegend
Muslime und Hindus wohnten, weil seine Schule – St. Ignatius in Mazgaon – ganz in
der Nähe lag. Wahrscheinlich gab es seit jeher dort bereits eine Art Slum. Und heutzutage
befindet sich an der Sophia Zuber Road ein halbwegs respektabler Slum.
Fairerweise muß
man zugeben, daß Gordon Hathaways Dreharbeiten wenigstens dazu beitrugen, daß es
heutzutage einigermaßen annehmbare Behausungen im Slum an der Sophia Zuber Road
gibt, denn dort entstand damals rasch ein entsprechender Szenenaufbau. Unter den
angeworbenen Statisten, die die Slumbewohner spielen sollten, befanden sich natürlich
echte Bombayer Bürger, die nach einem echten Slum Ausschau hielten, in dem sie sich
niederlassen konnten. Und sobald sie sich darin niedergelassen hatten, protestierten
sie gegen diese Filmleute, die ständig in ihre Privatsphäre eindrangen. Aus dem
Filmslum war ziemlich schnell ihr Slum geworden.
Dann war da noch
die Sache mit der Latrine. Ein Heer von Filmkulis – Schlägertypen mit Schaufeln
und Spaten – hatten eine Latrine ausgehoben. Aber man kann keinen neuen Platz zum
Scheißen schaffen, ohne einzukalkulieren, daß die Leute dort auch hinscheißen. Als
allgemein gültige Darmentleerungsregel gilt: Wenn ein paar Leute irgendwo hinscheißen,
scheißen auch andere dorthin. Das ist nur recht und billig. Stuhlgang ist in Indien
etwas unendlich Kreatives. Hier gab es eine neue Latrine; bald war sie nicht mehr
neu. Doch darf man weder die enorme Hitze vor dem Einsetzen des Monsunregens vergessen
noch die Überschwemmungen, die der Regen bringt; zweifellos verstärkten diese Faktoren
und die plötzliche Fülle menschlicher Exkremente Veras morgendliche Übelkeit noch,
weshalb es auch kein Wunder war, daß sie in Ohnmacht fiel, als eine Kuh sie ableckte
und auf sie nieste.
[177] Gordon Hathaway
und seine Crew drehten die Szene, in der die Entführer die todgeweihte Frau (Vera)
auf dem Weg zum Ashram des Schlangengurus durch einen Slum tragen. Just in dem Augenblick
sieht der idealistische Jesuit und Missionar, der zufällig gerade diverse selbstlose
gute Werke im Slum vollbringt, daß die schöne und unverkennbar blonde Frau von einer
Horde ungehobelter Kerle, die keineswegs ein passender Umgang für sie sind, die
Sophia Zuber Road entlanggeschleppt wird. Später kommen der besorgte Ehemann (Neville)
und ein klischeehaft täppischer Polizist, der die Spur der Entführer verloren hat,
vorbei. Hier findet die erste Begegnung zwischen dem Ehemann und dem Jesuiten statt
– für Neville und den arroganten indischen Schauspieler Subodh Rai, der den Missionar
mit unangemessen weltlicher Attraktivität und Schläue spielte, war es allerdings
nicht die erste Begegnung.
Unterdessen waren
zahlreiche neue Slumbewohner dazu gezwungen worden, ihren
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