Zirkuskind
Mahal und weigerte sich seit Beginn der Dreharbeiten, mit
Danny zu schlafen –, doch in Wirklichkeit hatte sie ganz offensichtlich eine Affäre
mit dem Hauptdarsteller. Für Danny, der sich normalerweise in den Schlaf trank und
spät aufstand, war das nicht offensichtlich. Besagter Hauptdarsteller war ein Bisexueller
namens Neville Eden. Neville war ein entwurzelter Engländer und ein Schauspieler
mit solider Ausbildung, wenn auch nicht gerade [166] ein überschäumendes Naturtalent.
Seine Umsiedelung nach Los Angeles hatte sich als Fehlentscheidung erwiesen, sobald
ihm klar wurde, daß er immer die gleichen, stereotypen Rollen angeboten bekam. Er
eignete sich zu gut als Besetzung für jede Menge typisierter Briten. Da war die
Rolle des trotteligen Briten – jenes klischeehaften Typus, den die eher rauhbeinigen
und weniger gebildeten Amerikaner verachten –, und dann gab es den kultivierten
englischen Gentleman, auf den ein leicht zu beeindruckendes amerikanisches Mädchen
ihre Liebesbemühungen richtet, bevor sie ihren Fehler erkennt und sich für einen
handfesteren (wenn auch langweiligeren) Amerikaner entscheidet. Außerdem gab es
die Rolle des zu Besuch kommenden britischen Cousins – manchmal war es auch ein
Kriegskamerad –, der auf komische Weise seine Unfähigkeit beweist, sich im Sattel
zu halten, auf der rechten Straßenseite Auto zu fahren oder aus Handgreiflichkeiten
in primitiven Bars als Sieger hervorzugehen. Alle diese Rollen gaben Neville das
Gefühl, einem Publikum, das Männlichkeit mit ganz bestimmten, eindeutig amerikanischen
Eigenschaften gleichsetzte, eine schwachsinnige Bestätigung für seine Vorurteile
zu liefern. Diese Entdeckung wurmte ihn; und zweifellos nährte sie auch das, was
er sein »homosexuelles Ich« nannte.
Die Sache mit Eines Tages fahren
wir nach Indien, Liebling nahm Neville recht gelassen: Wenigstens war es eine Hauptrolle,
und sie lag nicht ganz auf derselben Linie wie die verschwommen gezeichneten britischen
Typen, die er normalerweise darstellen sollte. Immerhin war er in dieser Geschichte
ein glücklich verheirateter Engländer mit einer todkranken amerikanischen Frau.
Aber selbst für Neville Eden war die Verliererkombination aus Danny Mills, Gordon
Hathaway und Veronica Rose ein kleines bißchen entmutigend. Neville wußte aus Erfahrung,
daß der Umgang mit einem auf Kompromissen beruhenden Drehbuch, einem zweitklassigen
Regisseur und einem Flittchen als Co-Star [167] leicht dazu führte, daß er sich wie
ein Flegel benahm. Und Neville machte sich nichts aus Vera, die anfing sich einzubilden,
daß sie in ihn verliebt war; trotzdem fand er es ungleich anregender und amüsanter,
mit ihr herumzuvögeln, als mit ihr vor der Kamera zu stehen – und er langweilte
sich gewaltig.
Zudem war er verheiratet,
was Vera wußte und was ihr tiefen Kummer oder zumindest akute Schlaflosigkeit verursachte.
Daß Neville bisexuell veranlagt war, wußte sie natürlich nicht. Diese Enthüllung
benutzte Neville häufig als Mittel, um flüchtige Affären dieser Art zu beenden.
Er hatte festgestellt, daß es auf der Stelle wirkte, wenn er dem betreffenden Flittchen
erklärte, sie sei zwar die erste Frau, die seine Aufmerksamkeit und sein
Herz in einem solchen Ausmaß fesselte, doch sein homosexuelles Ich sei eben einfach
stärker. Das funktionierte eigentlich immer; damit wurde er sie los, blitzschnell.
Alle bis auf die Ehefrau.
Was nun Gordon Hathaway
betraf, so hatte er alle Hände voll zu tun; seine Hämorrhoiden und sein Fungus waren
Lappalien im Vergleich zu der Katastrophe, die ihm bevorstand. Veronica Rose verlangte,
Danny Mills solle nach Hause fahren, damit sie Neville Eden noch offensichtlicher
mit Aufmerksamkeit überschütten konnte. Gordon Hathaway kam Veras Forderung insoweit
nach, als er Danny verbot, sich am Drehort blicken zu lassen. Die Anwesenheit des
Autors, behauptete Gordon, würde die Mitwirkenden »verdammt verwirren«. Aber dem
Wunsch seiner Nichte, Danny heimzuschicken, konnte er schlecht nachkommen, da er
ihn Nacht für Nacht für die laufenden Änderungen am Drehbuch brauchte. Verständlicherweise
wollte Danny Mills zu seinem ursprünglichen Buch zurückkehren, das, wie Neville
Eden eingeräumt hatte, besser gewesen war als der Film, den sie jetzt drehten. Danny
hielt Neville für einen anständigen Kerl, wäre jedoch am Boden zerstört gewesen,
wenn er erfahren hätte, daß Neville mit Vera herumbumste. Vera wünschte sich nichts [168] sehnlicher,
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