Zirkuskind
daran,
daß er sich als ein Mann präsentiert hatte, dem Kastenzugehörigkeit etwas bedeutete
und der streng vegetarisch lebte. Lowji erklärte er, immerhin habe man ihn als Kind
gezwungen, sich an diese Vorschriften zu halten, und es habe ihn nicht umgebracht.
»Wenn es mir zum Heiraten verhilft«, meinte Ranjit, »daß ich sozusagen ein frisches puja -Mal auf der Stirn trage, wird mich
das jetzt auch nicht umbringen.«
Lowji war von diesem
Verrat niedergeschmettert; für ihn war Ranjit wie ein dritter Sohn gewesen und ein
Weggefährte im [173] Atheismus. Dazu kam, daß sich die Unterredungen (mit über hundert
zukünftigen Schwiegervätern) negativ auf Ranjits berufliche Tüchtigkeit auswirkten.
Er war ständig erschöpft – kein Wunder, daß ihm vor lauter Vergleichen zwischen
hundert zur Auswahl stehenden Bräuten ganz schwindlig war.
Doch selbst in dieser
Geistesverfassung schenkte Ranjit dem Besuch der Hollywood-Filmgöttin Veronica Rose
bei Dr. Daruwalla große Aufmerksamkeit. Und da es seine Aufgabe war, das Gekritzel
seines Chefs zu einem formal ordentlichen orthopädischen Bericht auszuarbeiten,
war der junge Mann überrascht, als er – nach Veras tränenreichem Abgang – feststellte,
daß Lowji in die Spalte mit dem Geschlechtssymbol lediglich »Gelenkbeschwerden«
geschrieben hatte. Es war höchst ungewöhnlich, daß Dr. Daruwalla einen Patienten
heimbegleitete, zumal nach einer einfachen Konsultation und vor allem, wenn noch
andere Patienten auf ihn warteten. Außerdem hatte Dr. Daruwalla senior bei sich
zu Hause angerufen und seiner Frau mitgeteilt, daß er Miss Rose vorbeibringen würde.
All das wegen irgendwelcher Gelenkbeschwerden? Ranjit fand das höchst ungewöhnlich.
Zum Glück ließen
die intensiven Gespräche, die sich aus Ranjits höchst erfolgreicher Heiratsannonce
ergaben, ihm nicht viel Zeit und Energie, um Mutmaßungen über Veras »Gelenkbeschwerden«
anzustellen. Sein Interesse beschränkte sich darauf, daß er Dr. Daruwalla fragte,
unter welcher Art von Gelenkbeschwerden die Schauspielerin denn leide. Ranjit war
es nicht gewohnt, einen unvollständigen orthopädischen Bericht zu schreiben.
»Na ja«, sagte Lowji,
»ich habe sie an einen anderen Arzt überwiesen.«
»Dann sind es also
keine Gelenkbeschwerden?« fragte Ranjit. Ihm ging es ausschließlich um einen korrekten
Bericht.
»Möglicherweise
ist es was Gynäkologisches«, antwortete Lowji vorsichtig.
[174] »Wo glaubt sie
denn Gelenkbeschwerden zu haben?« fragte Ranjit überrascht.
»In den Knien«,
antwortete Lowji unbestimmt und winkte ab. »Aber meiner Ansicht nach sind die psychosomatisch.«
»Und sind die gynäkologischen
Beschwerden auch psychosomatisch?« fragte Ranjit. Er sah Schwierigkeiten beim Verfassen
des Berichts auf sich zukommen.
»Möglicherweise«,
sagte Lowji.
»Um was für gynäkologische
Beschwerden handelt es sich denn?« wollte Ranjit wissen. Aufgrund seines Alters
und seines Ehrgeizes, Drehbuchautor zu werden, ging er davon aus, daß es sich bei
den Beschwerden um eine Geschlechtskrankheit handelte.
»Jucken«, sagte
Dr. Daruwalla senior – und um das Verhör an diesem Punkt zu beenden, fügte er klugerweise
hinzu: »Vaginales Jucken.« Wie er wußte, legte kein junger Mann Wert darauf, darüber
genauer nachzudenken. Damit war die Angelegenheit erledigt. Näher als mit diesem
orthopädischen Bericht über Veronica Rose sollte sich Ranjit nie an das Schreiben
eines Drehbuchs herantasten. (Viele Jahre später las Dr. Daruwalla junior den Bericht
noch immer mit anhaltendem Vergnügen – sooft er mit den alten Zeiten in Verbindung
zu treten wünschte.)
»Die Patientin fühlt sich von ihren Knien irritiert. Sie
bildet sich ein, kein vaginales Jucken zu haben, das sie jedoch hat, während sie
gleichzeitig Schmerzen in den Knien verspürt, die sie in Wirklichkeit nicht hat.
Selbstverständlich wurde ihr empfohlen, einen Gynäkologen zu konsultieren.«
Und was für
einen Gynäkologen ihr Lowji empfahl! Bestimmt gab es kaum eine Patientin, die sich
ruhigen Gewissens dem uralten, zu Fehlleistungen neigenden Dr. Tata anvertraut hätte. [175] Lowji wählte ihn aus, weil er so senil war, daß er garantiert diskret sein würde;
für Klatschgeschichten war sein Erinnerungsvermögen zu reduziert. Doch leider stellte
sich heraus, daß seine Fähigkeiten als Geburtshelfer ebenso zu wünschen übrig ließen.
Wenigstens war Lowji
so vernünftig, die psychologische Betreuung von Veronica Rose
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