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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verbessert, aber Dr. Daruwalla senior konnte nur feststellen, daß Veras
rechter Fuß gequetscht und angeschwollen und daß sie nach wie vor schwanger war.
»Wenn Neville mich nicht haben will, gebe ich das Baby zur Adoption frei«, sagte
Vera. »Aber das müssen dann Sie hier in die Wege leiten«, erklärte sie Lowji, Meher
und Farrokh. Sie war überzeugt, daß ihr »amerikanisches Publikum« es ihr ankreiden
würde, wenn sie ein uneheliches Kind bekäme. Von größerer Tragweite war, daß ihr
Onkel ihr keine Filmrolle mehr geben würde (wenn [180]  er es erführe); und noch schlimmer
wäre, daß Danny Mills mit der Trinkern eigenen Sentimentalität darauf bestehen würde,
das Baby selbst zu adoptieren (wenn er es erführe). »Das muß absolut unter uns bleiben!«
erklärte Miss Rose den hilflosen Daruwallas. »Suchen Sie mir irgendein reiches Scheißehepaar,
das ein weißes Baby möchte!«
    Im Innern des Campingbusses
war es buchstäblich wie in einer Sauna, so daß die Daruwallas überlegten, ob Vera
nicht vielleicht dehydriert war. Lowji und Meher mußten zugeben, daß ihnen das Moralempfinden
des Westens nicht vertraut war, und wandten sich deshalb an ihren in Europa ausgebildeten
Sohn um Rat in dieser Sache. Doch selbst dem jungen Farrokh kam es recht eigenartig
und fragwürdig vor, Indien noch ein Baby schenken zu wollen. Er meinte, daß die
Bereitschaft, ein Baby zu adoptieren, in Europa oder Amerika vermutlich größer sei,
aber Miss Rose legte Wert auf Geheimhaltung um jeden Preis – als würde, vom moralischen
Standpunkt aus, was immer sie in Indien tat und wen immer sie hier zurückließ, irgendwie
nicht zählen oder ihr zumindest nie angelastet werden.
    »Sie könnten es
ja abtreiben lassen«, schlug Dr. Daruwalla senior vor.
    »Wagen Sie ja es
nicht, in meiner Gegenwart dieses Wort in den Mund zu nehmen«, sagte Veronica Rose.
»Ich gehöre nicht zu dieser Sorte Frauen – ich bin mit bestimmten moralischen Grundsätzen
aufgewachsen!«
    Während sich die
Daruwallas den Kopf über Veras »moralische Grundsätze« zerbrachen, wurde der Campingbus
von einer Horde rabiater Männer und Jungen heftig hin und her geschaukelt. Lippenstifte
und Eyeliner rollten von den seitlich angebrachten Borden, Puderdosen und Feuchtigkeitscremes
und Rouge folgten. Eine Flasche mit destilliertem Wasser zerbrach, dann eine mit
Alkohol. Farrokh fing eine herunterfallende Schachtel mit Mulltupfern und eine zweite
mit Pflaster auf, [181]  während sich sein Vater zu der aufgehenden Schiebetür durcharbeitete.
Veronica Rose kreischte so laut, daß sie nicht hörte, was der alte Lowji den Männern
draußen zuschrie; sie hörte auch die geräuschvolle Prügelei nicht, die in Gang kam,
als sich mehrere zur Filmcrew gehörige Schlägertypen mit den Schaufeln und Spaten,
mit denen sie die nicht mehr ganz neue Latrine ausgehoben hatten, auf den Mob stürzten.
Miss Rose lag auf dem Rücken und umklammerte die Ränder ihrer vibrierenden Koje,
während kleine, bunte Töpfchen mit diesem und jenem auf sie herunterfielen, ohne
Schaden anzurichten.
    »Ach, wie ich dieses
Land hasse!« kreischte sie.
    »Der Tumult geht
schon wieder vorüber«, versuchte Meher sie zu beruhigen.
    »Ich hasse es, ich
hasse es, ich hasse es!« schrie Vera. »Es ist das gräßlichste Land auf der Welt.
Ich hasse es zutiefst!« Der junge Farrokh war versucht, die Schauspielerin zu fragen,
warum sie dann ihr Baby hier in Bombay lassen wollte, hatte aber das Gefühl, über
die kulturellen Unterschiede zwischen sich und Miss Rose zu wenig Bescheid zu wissen,
um sich ein Urteil anmaßen zu dürfen. Farrokh wollte auch überhaupt nichts Genaueres
über diese Unterschiede zwischen sich und diesen Filmleuten erfahren. Mit neunzehn
neigen junge Männer zu radikalen moralischen Verallgemeinerungen. Aber den Rest
der Vereinigten Staaten für das Verhalten der ehemaligen Hermione Rosen verantwortlich
zu machen war ein bißchen hart; trotzdem spürte Farrokh, wie er von dem Gedanken
an einen künftigen Wohnsitz in den Vereinigten Staaten Abstand nahm.
    Kurz und gut, Veronica
Rose machte Farrokh regelrecht krank. Fraglos sollte die Frau wenigstens eine gewisse
Verantwortung dafür übernehmen, daß sie schwanger war. Und dann hatte sie auch noch
Farrokhs geheiligte Erinnerung an Lady Duckworths exhibitionistische Darbietungen
getrübt! Allen Erzählungen zufolge hatte Lady Duckworths Entblößung [182]  elegant,
aber nicht sonderlich verführerisch gewirkt. In Farrokhs

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