Zitadelle des Wächters
gelten nicht gerade als die besten Bauern der Welt, und der Großteil ihres wunderbaren Landes wird ungenutzt von Generation zu Generation weitergereicht. Das gleiche läßt sich von den immensen Vorkommen an Erz und anderen wertvollen Metallen sagen, die fast überall im Kaiserreich unter der Erde liegen: Eisen, Bauxit, Thorium, Uran, Mangan und Silber. Es liegt im wahrsten Sinne des Wortes überall und wartet nur darauf, herausgeholt, gereinigt und bearbeitet zu werden. Aber man läßt es unberührt in der Erde, abgesehen von einigen Nutzungsverträgen, die Nespora in die Wege leitet und die das Portefeuille des „Kaisers“ etwas voller machen – doch zur Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung reichen diese Konzessionsgelder nicht. Die ausländischen Bergbau-Konzerne führen die Erze aus dem Land hinaus zu den Industriezentren der Welt, wie Nespora, G’rdellia und Zend Avesta, wo kleine, erbärmliche Fabriken armselige Repliken von Dingen aus der Ersten Zeit herstellen. Über den Zustand des Landes macht man sich in der Bevölkerung im allgemeinen keine großen Gedanken. Sie ist in kleinen Städten und Dörfern über das riesige Land verstreut und wird äußerst streng von einer Gouverneurskaste und diesen Gouverneuren treu ergebenen Angestellten regiert. Es gibt so etwas wie eine militärische Bedrohung, die die Bevölkerung wie ein Leinentuch einhüllt, ihrem Leben eine weitere Widrigkeit zufügt, die noch zu der bereits vorhandenen Öde ihrer Lebensweise hinzukommt. Kunst läßt sich kaum ausmachen, die Musik ist so gut wie unbekannt, und der Analphabetismus grassiert. Alles in allem ein einfarbiges, niedriges Volk, als dessen beste Eigenschaft man die Zuverlässigkeit nennen könnte, aber das läßt sich auch von Pferden und Ochsen sagen. Zu Kriegszeiten kommt diese ihre Tugend am besten zur Geltung. Man sagt ihnen nach, sie marschierten unerschrocken einer überwältigenden Übermacht entgegen und ließen sich bis zum letzten Hilfsöldner abschlachten, ohne auch nur einmal dagegen zu protestieren. Die wichtigste Stadt heißt Calinthia, die bequem, wie eine fettleibige Person in einem extrem gepolsterten Sessel, im geographischen Zentrum des Kaiserreichs liegt. Angesichts dieser Gegebenheiten „regiert“ der Kaiser – eine Aufgabe, die der allgemeinen Ansicht nach endlose Stunden des höfischen Pomps mit absolut hündisch ergebenen Höflingen, Feste, exzeßartige Saufgelage und Tanzmädchen, vorzugsweise nackt, beinhaltet. So blieb es nicht aus, daß die zweite Garnitur der Staatsspitze, Ratgeber, Kanzler und Adlige, enge Verbindungen zu Nespora geknüpft haben. Sie bewegen die reichen Abgesandten Nesporas, die natürlichen Reichtümer des Landes auszubeuten, um so wenigstens den äußeren Anschein von Handel und Stabilität zu bewahren. Obwohl es unfair wäre zu behaupten, die scorpinnianische Regierung sei korrupt, so überzeugt den aufmerksamen Beobachter ein näherer Blick auf die beiden wichtigsten Häfen am Golf – Mogun und Talthek – doch davon, daß diese Nation sich aufs äußerste bemüht, in die Tretmühle des Vergessens zu geraten.
Doch man findet auch noch schlimmere Orte.
Nordwestlich des scorpinnianischen Kaiserreichs befindet sich ein kahler, ungewöhnlicher Ort – das Schlackenland. Wie ein ruhiger, mit grauem Wasser gefüllter Ozean dehnt es sich zum Horizont aus und hört vielleicht erst am Ende der Welt auf. Es ist eben wie eine Glasscheibe und genauso formlos. Das Schlackenland setzt sich aus verglastem Fels und Basalt und geschmolzenem Stahl zusammen. Zu einer
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