Zitronen im Mondschein
»Genossin Schwarz«, sagte Anselm gleichzeitig.
»Sehr erfreut.« Eisler nickte begeistert, obwohl er kein Wort verstanden haben konnte. »Nun, wie schon gesagt, wir wollen uns gleich zu einer kleinen Feier versammeln. Wenn Sie beide Lust hätten, uns zu beehren, es wäre mir ein Vergnügen.«
Sie wechselten einen Blick. Mira sah, dass Anselms Augen leuchteten.
»Vielen Dank«, sagte er. »Wir kommen natürlich gerne.«
»Das Lokal nennt sich
Zur goldenen Henne
«, erklärte der Dirigent. »Auch wenn ich zugeben muss, dass dieser Name mir persönlich ein wenig seltsam erscheint für einen Treffpunkt der Kommunistischen Partei.«
Die Goldene Henne lag auf der Kaiser-Wilhelm-Straße, es war ein großes, düsteres Etablissement mit unzähligen verstaubten Bildern an den Wänden, teils Gemälde, teils Zeichnungen und Fotografien, ein wildes Sammelsurium an Abbildungen. Der kleine, runde Eisler und der Dirigent standen an der Theke in einer Gruppe von Musikern und anderen Männern und ein paar Frauen. Einige davon kamen Mira bekannt vor, vielleicht weil sie ihnen bei den Versammlungen begegnet war.
»Der Mann heißt Eisler, Hanns Eisler«, hatte Anselm ihr auf dem Weg hierher erklärt. »Er ist ein ganz hervorragender Komponist und Musiker, der sich der kommunistischen Sache verschrieben hat, auch wenn er bislang kein Parteimitglied ist. Erhat bei Schönberg studiert und auch in seinem Stil der Zwölftonmusik gearbeitet, aber in letzter Zeit hat er sich doch sehr davon abgewandt. L’art pour l’art und Musik für die Arbeiter gehen eben schlecht zusammen. Er soll sich sogar mit seinem Meister darüber überworfen haben, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann.«
Mira nickte. Schönberg, wer war Schönberg? Was bedeutete Zwölftonmusik und l’art pour l’art? Sie hätte Anselm gerne gefragt, aber sie wusste, dass er jetzt viel zu aufgewühlt war, um derartige Fragen zu beantworten. Wie er sich darüber freute, dass er zu der Feier eingeladen worden war! Und das hast du allein mir zu verdanken, dachte Mira plötzlich. Wenn ich mich nicht so positiv über den Film geäußert hätte, hätten uns diese Männer ohne Weiteres abgefertigt. Aber das war Anselm nicht bewusst, und wenn sie ihn darauf hingewiesen hätte, wäre er nur lachend darüber hinweggegangen, wie über die altklugen Worte eines Kindes.
Sie stellten sich zu der kleinen Gruppe an der Theke. Anselm putzte seine Brille. Der Kellner drückte Mira ein Glas Bier in die Hand, ohne sich zu erkundigen, ob sie vielleicht etwas anderes trinken wollte. Sie umklammerte ihr Glas mit beiden Händen. Man redete über den Film, über das, was die Zensur aus ihm gemacht hatte.
»Hat Eisler eigentlich die Musik zum Panzerkreuzer komponiert?«, fragte Mira. Anselm überhörte die Frage, weil Mira so leise gesprochen hatte, aber der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt hatte sie verstanden.
»Die Filmmusik ist von Edmund Meisel«, sagte er. »Er hat sie für die deutsche Filmpremiere geschrieben, aber nun ist sie so erfolgreich, dass sie in ganz Europa gespielt wird.«
»Aha.« Mira versuchte sich an seinen Namen zu erinnern, der Dirigent hatte ihn doch vorhin vorgestellt, aber sie kam nicht darauf.
»Genosse Langhoff«, half er ihr. Wie alt mochte er sein? Fünfundzwanzig, dreißig, in jedem Fall jünger als Eisler, aber vielleicht war der ja auch jünger, als seine Glatze ihn machte.
»Genossin Schwarz«, stellte sich Mira vor. »Ich bin mit dem Genossen Guben gekommen.«
Der Mann lachte spöttisch. »Sind Sie das?«
Mira ärgerte sich über ihre eigenen Worte, und über ihn ärgerte sie sich auch.
Genosse Langhoff hob sein Glas und prostete Mira zu, Mira prostete zurück, dann wandte sie sich ab. Die Männer sprachen jetzt über die Theaterszene in Berlin, Anselm diskutierte eifrig mit, er kannte alle Namen, alle Ereignisse, alle Entwicklungen. »Piscator«, fragte er. »Was macht eigentlich Piscator?« Als wäre es ein alter Bekannter, den er lange nicht gesehen hatte.
»Ärger macht er – was sonst?«, sagte einer der Musiker. »Was immer er anpackt, wird ein Skandal. Haben Sie das Nachtasyl schon gesehen?«
»Wie das denn! Ohne Beziehungen bekommt man ja kaum Karten«, meinte ein anderer.
»Man hört, dass er nicht mehr lange an der Volksbühne bleiben will«, meinte Anselm.
»Man hört so vieles, wenn der Tag lang ist«, sagte Hanns Eisler fast verächtlich.
»Soll er doch hinschmeißen«, meinte nun Langhoff. »Es wäre an der Zeit für
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