Zitronen im Mondschein
etwas Neues.«
»Ein revolutionäres Arbeitertheater.«
»Das die Dinge beim Namen nennt.«
»Aber dafür eine sichere Stellung aufgeben? An der Volksbühne hat er als Regisseur sein Auskommen.«
»Als ob es ihm darum ginge.«
Miras Kopf begann sich zu drehen. Die stickige Luft in der Kneipe und das Bier, und sie hatte noch nichts zu Abend gegessen. Und all die Namen, die im Raum schwirrten, Piscator, Nachtasyl, Volksbühne.
»Ja, Berlin«, sagte Anselm schwärmerisch. »Das ist etwas anderes als Düsseldorf. Da ist Bewegung, da muss man hin.«
»Das eine und das andere ist ja gar nicht zu vergleichen«, fiel Langhoff mit lauter Stimme ein. »Hier ist Provinz, aber Berlin ist die Hauptstadt.«
»Berlin ist ein Moloch«, sagte Eisler.
»Aber lebendig.« Anselm griff sich ein Bierglas vom Tablett eines vorübergehenden Kellners. »Und lebendig ist gut.«
Mira spürte, wie ihre Brust seltsam eng wurde. Es war ja ganz unverkennbar, Anselm wollte weg aus Düsseldorf, alles zog ihn nach Berlin. Aber wenn er ginge, würde er sie bestimmt nicht mitnehmen, so eng waren sie noch nicht. Vielleicht würden sie es auch nie werden. Trotzdem war der Gedanke völlig unerträglich, dass er gehen könnte und sie zurückbleiben würde.
»Es hat aber doch keinen Sinn, dass nun alle Welt nach Berlin rennt.« Wieder brachen die Worte aus ihr heraus, bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte. »Wenn die Revolution Zukunft haben soll, dann muss man die Dinge doch in ganz Deutschland in Bewegung bringen, nicht nur in der Hauptstadt.«
»Das ist wohl wahr!« Eisler nickte so heftig, dass sein volles Bierglas überschwappte, aber er nahm es gar nicht zur Kenntnis. »Wo man steht und lebt, muss man etwas ausrichten, in Düsseldorf, Stuttgart und Hannover und in Kleinwinkeldorf. Überall in Deutschland gibt es zu tun. Man muss es nur anpacken!«
»Ja, aber die Impulse gehen doch von Berlin aus«, sagte Langhoff, während er die Nase verzog, als röche er etwas Unangenehmes. »Das ist nicht zu leugnen.«
»So lange alle nur auf Berlin starren und auf das, was dort passiert, wird das auch so bleiben«, meinte Mira.
»Bravo!« Eisler lachte. »Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Wie war noch einmal Ihr Name, liebes Fräulein?«
»Mira Schwarz«, sagte Mira. Diesmal ließ sie die
Genossin
ganz bewusst weg.
»Sie haben das Herz auf dem richtigen Fleck!« Eisler hob sein Glas, dann trank er es in einem Zug leer. »Ah. Und auch das Bier schmeckt hier besser als diese Plörre in Berlin.«
»Wie war noch einmal der werte Name?«, machte Anselm den Dirigenten nach, als er Mira später zur Droschke brachte. »Du hast ja einen mächtigen Eindruck auf Eisler gemacht, das muss man schon sagen.«
»Ach was.« Mira warf einen verstohlenen Blick auf Anselms Gesicht. Er wirkte aufgekratzt, fast wie berauscht, dabei hatte er höchstens drei Gläser Bier getrunken.
Es gefällt ihm, dass Eisler mich mochte, dachte sie. Aber mir gefällt es nicht, dass es ihm gefällt. Ich wünschte, er wäre eifersüchtig, wenigstens ein bisschen.
Sie verabschiedeten sich am Mintropplatz, Mira nahm eine Droschke, Anselm wollte zu Fuß nach Hause gehen. Er wartete noch so lange, bis der Fahrer den Wagen angekurbelt hatte. Sie betrachtete ihn durch das schmale Fenster, wie er da stand und in die Dunkelheit blickte.
Sie fragte sich, woran er dachte. An den Panzerkreuzer oder an Eisler oder an Berlin. Aber ganz bestimmt nicht an mich, dachte sie, als der Motor endlich ansprang und der Fahrer in den Wagen stieg.
II.
Der verrückte Maler hieß Nero, das hatte er Mira jedenfalls erzählt. Nero Battaglia. Sie glaubte aber nicht, dass das sein richtiger Name war, zumindest sprach er deutsch ohne irgendeinen ausländischen Akzent. Er kam immer noch jeden Tag zwischen halb elf und elf Uhr, trank seinen Kaffee und zeichnete dabei in sein Skizzenbuch, und wenn Mira ein bisschen Zeit hatte, unterhielt sie sich mit ihm. »Gestern habe ich Panzerkreuzer Potemkin gesehen«, erzählte sie ihm, während sie mit einem feuchten Lappen über einen klebrigen Ring auf der Marmorplatte fuhr. »Kennen Sie den Film?«
»Panzerkreuzer ….« Er schüttelte ratlos den Kopf. »Nein, ich gehe wohl manchmal ins Kino, aber an diesen Film kann ich mich nicht erinnern. Worum geht es denn darin? Um den Krieg?«
»Um die russische Revolution.«
»Um die Revolution. Das ist besser. Aber ich kenne ihn gleichwohl nicht.«
»Es war aber sehr beeindruckend«, sagte Mira.
Als sie die leere
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