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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Innozenz’ schmales Gesicht war jedoch voll ehrlicher Neugierde. »Ich habe es als Kind oft versucht, aber es ist mir nie gelungen.«
    »Es ist ganz einfach«, sagte Ursula und zeigte, wie man den Grashalm spannte und mit den Handballen fixierte und dann darauf blies.
Fläääh !
machte der Grashalm.
    »Es sieht tatsächlich ganz einfach aus«, sagte Schwester Innozenz nachdenklich. Einen Moment wirkte sie, als wollte sie das Ganze gleich selbst ausprobieren, aber dann besann sie sich. »Ich soll eure Handarbeiten inspizieren.«
    Mirabella zeigte ihr Strickzeug. In der Mitte hatte sie eine Masche fallen lassen, das war ihr vorher nicht aufgefallen, aber Schwester Innozenz bemerkte es auch nicht. »Sehr schön, danke vielmals«, sagte sie. Dann beugte sie sich über Ursulas Strickstrumpf, der eigentlich kein Strickstrumpf war, sondern ein wirres Gebilde aus Fäden und Löchern.
    »Ach herrje, da wird wohl einer kalte Füße bekommen im nächsten Winter«, sagte sie betroffen. Dann sah sie Ursula an und zuckte mit den Achseln. »Ich kann es auch nicht, ich habe es nie gekonnt. All diese Nadeln und dieses Wollgeknäuel, es macht mich ganz verrückt im Sinn.«
    Sie schüttelte bedauernd den Kopf, dann wandte sie sich wieder zum Gehen.
    »Halt!«, sagte Ursula. »Einen Moment noch.«
    »Wie bitte?«, fragte Schwester Innozenz und blieb stehen.
    »Ich muss Ihnen etwas sagen«, begann Ursula und räusperte sich. Mirabella sah sie nervös an. Manchmal geschah es, dass Ursulas Verachtung plötzlich aufbrach und die heiße Lavawut herausquoll, die sich tief in ihrem Inneren über lange Zeit angesammelt hatte. Wie neulich im Unterricht, als Ursula Schwester Clementia als eine Tyrannin bezeichnet hatte, schlimmer als der Kaiser Nero. Zur Strafe musste sie hinterher den langen Flur von der Küche zum Speisesaal schrubben.
    »Schwester Innozenz«, sagte Ursula feierlich. »Sie sind die Beste. Sie sind immer freundlich und geduldig und herzensgut.Im Gegensatz zu den schrägen Vögeln, die sonst hier herumflattern. Das muss einmal gesagt werden.«
    Schwester Innozenz wirkte mit einem Mal sehr unsicher, sie versuchte ein Lächeln, aber es flackerte nur kurz auf, dann verschwand es wieder von ihren Lippen. Stattdessen begannen ihre Augen zu glänzen.
    Sie ist vollkommen allein, dachte Mirabella plötzlich. Die anderen Schwestern treten sie und verachten sie und blicken auf sie herab, sie hat niemanden hier. Sie ist, wie ich es war, bevor Ursula kam.
    Schwester Innozenz suchte nach Worten. »Danke«, würgte sie schließlich hervor. »Vielen Dank.«
    »Nichts zu danken«, meinte Ursula. »Wenn die anderen auch nur halb so freundlich wären wie Sie, dann wäre alles erträglicher.«
    Schwester Innozenz nickte, dann schüttelte sie hastig den Kopf. »Es ist doch gut hier«, flüsterte sie fast beschwörend.
    »Ach was!«, rief Ursula. »Man behandelt uns nicht gut. Und Sie werden auch nicht gut behandelt! Warum lassen Sie sich das überhaupt gefallen?«
    Sie sprach sehr laut, und so hörte Schwester Latburga ihre letzten Worte, als sie mit einem Korb voll Zwiebeln den Pfad zwischen den Feldern herunterkam.
    »Was ist das für eine Unterhaltung mit den Schützlingen?«, fragte sie Schwester Innozenz so streng, als wäre auch sie eines der Waisenkinder. »Machen Sie sich nicht mit ihnen gemein, wie oft muss man es Ihnen denn noch sagen.«
    Ein paar Gänse näherten sich neugierig, reckten die Hälse und schnatterten.
    Schwester Innozenz’ Augen hörten auf zu glänzen, von einem Moment zum anderen wirkte sie wieder geistesabwesend und zerstreut.
    »Haben Sie mich gehört, Schwester Innozenz?«, herrschte Schwester Latburga sie an. Hinter ihr reckten zwei Gänse die Hälse und öffneten die Schnäbel zu einem schadenfrohen Grinsen.
    Schwester Innozenz nickte langsam. »Man predigt es und predigt es immer wieder, aber dann stoßen die Worte doch auf taube Ohren wie die Samen des Sämanns, die auf den Weg fallen und zertreten werden.«
    Sie macht es absichtlich, dachte Mirabella. Gerade eben war sie ganz klar, und jetzt tut sie wieder so zerstreut, als habe sie nicht verstanden, was Schwester Latburga will. Sie gibt sich verrückter als sie ist, damit die anderen ihr ihren Frieden lassen.
    Schwester Latburga schüttelte den Kopf, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen. »Nun denn«, sagte sie dann zu Mirabella und Ursula. »Ihr begebt euch jetzt besser wieder an eure Arbeit. Los, worauf wartet ihr noch?«
    Sie blieb so lange

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