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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Mund. Ihre Handflächen waren mit schwarzblauen Flecken überzogen, sie rieb noch einmal über die Schürze, aber es nützte nichts.
    »Ist vielleicht besser so«, sagte Ursula. »Vielleicht war er ein rechter Saukerl.«
    »Vermutlich«, sagte Mirabella wieder.
    Ihr Vater – wie so oft versuchte sie, ihn sich vorzustellen. War er groß oder klein gewesen, freundlich oder brutal? Dick, dünn, dunkelhaarig oder kahlköpfig? Sie schloss die Augen und sah nichts, nur das Gesicht von Mirko, aber das war nicht der Richtige. Wie sollte sie sich ihren Vater vorstellen, den sie niemals gesehen hatte, wenn sie sich kaum noch an ihre Mutter erinnerte?
    »Mein Vater war der stärkste Mann der Welt«, sagte sie nachdenklich.
    »Wie meinst du das?«
    Mirabellas Mutter hatte das einmal zu ihr gesagt, als Mirabella sie wieder und wieder nach ihrem Vater gelöchert hatte.
Er war der stärkste Mann der Welt.
    Mirabella hatte damals auch gefragt, was sie damit meinte, aber ihre Mutter hatte nur gelächelt.
    »War er ein Gewichtheber?«, fragte Ursula.
    Mirabella zuckte mit den Schultern. Sie dachte an den Starken Alfonso, der den Zirkus Lombardi einmal eine Saison lang begleitet hatte. Ein bulliger, älterer Mann mit einem Walrossbart, der unter lautem Gebrüll die schwersten Dinge stemmte: ein Bierfass, eine Kiste, in der fünf Liliputaner saßen, ein Pferd mitsamt der Kunstreiterin. Seine Nummer war bei den Leuten gut angekommen. Warum hatte er den Zirkus dann wieder verlassen? In jedem Fall war Alfonso bestimmt nicht ihr Vater. Als er zum Zirkus gekommen war, war sie ja schon längst geboren.
    Aber vielleicht hatte Ursula recht. Vielleicht war ihr Vater wirklich Gewichtheber gewesen. Wieder versuchte sie, sich ihn vorzustellen. Diesmal trug er ein blau-weiß geringeltes Trikot wie Alfonso, er sah auch sonst aus wie Alfonso. Sie konzentrierte sich darauf, sein Gesicht auszulöschen und durch ein anderes zu ersetzen, doch dann war es wieder Mirko.
    »Was hast du denn?« Ursula ließ nicht locker.
    »Ich habe kein Bild von ihm. Ist das nicht komisch? Er war doch mein Vater, aber ich habe keine Ahnung, wie er aussah, wo er lebt, ob er lebt.«
    »Hm«, machte Ursula. »So ein Dreck aber auch.« Sie bot Mirabella eine letzte Hand voll Johannisbeeren an. Als diese den Kopf schüttelte, legte sie den Kopf in den Nacken und ließ die glänzenden Perlen aus ihrer Hand direkt in den Mund rollen. Zwei oder drei Beeren fielen daneben und kullerten zu Boden. Schwarze Tränen.
    »Vielleicht lebt er ja irgendwo in der Nähe. Wir hätten uns zu ihm flüchten können.«
    »Wahrscheinlich ist er tot«, sagte Mirabella.
    »Ach was! Das hat dir deine Mutter nur erzählt, damit du Ruhe gibst.«
    Ihre Mutter hatte jedoch nie erzählt, dass ihr Vater tot war. Sie hatte überhaupt nichts von ihm erzählt.
    »Ist ja auch ganz egal.«
    »Eines steht fest.« Ursula stand auf und trat dabei aus Versehen auf die Beeren, die ihr gerade heruntergefallen waren.Aus glänzenden Tränentropfen wurden schwarze Blutflecken. »Lang kann ich es in diesem Kloster nicht mehr aushalten. Es macht mich ganz krank. Diese ständige Beterei. Das ist doch eine Belästigung Gottes.«
    »Was hast du vor?«, fragte Mirabella.
    »Ich gehe weg hier.«
    Nein, dachte Mirabella. Dieser Gedanke, dass Ursula weggehen und sie allein zurücklassen könnte, verschluckte alle anderen Gedanken und Gefühle in ihrem Kopf. Nein. Das war das einzige Wort, das übrig blieb und in ihrem Schädel herumflog und sich dabei in seine Bestandteile auflöste. N. E. I. N.
    Nimm mich mit, wenn du gehst, wollte sie sagen, aber ihr fehlten die Worte.
     
    Die Schwestern erfuhren nie etwas von ihrem nächtlichen Ausflug nach Waldmössingen. Sie fanden auch nicht heraus, dass Ursula und Mirabella manchmal nachts im Waldteich schwimmen gingen, und von ihrem geheimen Versteck auf der Gänsewiese wussten sie auch nichts. Mirabella hatte die hohle Stelle unter der Baumwurzel entdeckt und Ursula gezeigt.
    »Das ist das Versteck für unseren Schatz«, sagte Ursula sofort.
    »Welchen Schatz? Wir haben doch nichts.«
    »Noch nicht.«
    Als Erstes brachte Ursula eine alte Blechdose mit. Die Scharniere, die Deckel und Schachtel zusammenhielten, waren verrostet, aber das machte nichts. Als sie durchbrachen, banden sie das Ganze einfach mit einem Stück Schnur zusammen.
    In die Dose legten sie eine silberne Haarnadel, die Mirabella in der Kapelle gefunden hatte, eingeklemmt zwischen zwei Dielenbretter. »Eine Schwester hat

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