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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Schwester Innozenz dabeibeobachtete, wie sie von einem Bett zum anderen eilte und dabei sanft lächelte.
    Wie liebevoll sie Schwester Danuta Suppe einflößte! Schwester Danuta konnte die Flüssigkeit aber nicht mehr bei sich behalten, die klare Brühe floss in zwei dünnen Rinnsalen aus ihren Mundwinkeln und übers Kinn den Hals hinunter, wo Schwester Innozenz sie mit einer Serviette auffing. »Vergelt’s Gott«, krächzte Schwester Danuta, und Schwester Innozenz lächelte.
    Am nächsten Tag war Schwester Danuta tot, und Pfarrer Labs konnte ihren Sarg nicht mehr segnen, weil er ebenfalls tot war.
    Die Gesunden und Überlebenden pflegten die Kranken und Sterbenden, sie rannten von den Krankenlagern im Hauptgebäude ins Lazarett und wieder zurück, Tag und Nacht. Draußen fielen die reifen Äpfel und Walnüsse von den Bäumen und verrotteten im nassen Gras, keiner hob sie auf. Man arbeitete einzig und allein daran, am Leben zu bleiben.
    Mirabella schleppte eimerweise Tee und Suppe in die Krankensäle, fütterte die Kranken und trug hinterher die vollen Nachttöpfe zum Abort. Sie durfte jetzt auch ins Lazarett, denn in den Zeiten der Not galten die alten Regeln nicht mehr. Die verwundeten Soldaten lagen unter grauen Wolldecken auf Feldbetten, die so ordentlich aufgereiht waren wie Gräber auf einem Friedhof, und wenn Mirabella Suppe brachte oder frisches Bettzeug, folgten sie ihr mit den Augen. So lange sie durch die Gänge ging, taten sie ihr leid, aber sobald sie den Raum verlassen hatte, vergaß sie die Soldaten wieder. Denn sie dachte über ihre Zukunft nach.
    Nach der Grippe, soviel stand fest, würde etwas Neues beginnen. Mit der Krankheit hatten die Nonnen ihre Macht verloren. Das Kinderheim war am Ende, und draußen ging auch der Krieg zu Ende, man hörte es jetzt überall, auch wenn sie keine Zeitungen mehr lasen und kaum noch Bedienstete zur Arbeit erschienen. Die Grippe hatte den Soldaten den Rest gegeben.
    Mirabella würde ein neues Leben anfangen, auch das stand fest. Sie würde mit Schwester Innozenz nach Karlsruhe gehen,gemeinsam würden sie Ursula aus ihrem Heim befreien, und dann würden sie sich zu dritt eine Bleibe suchen. Schwester Innozenz konnte sich als ihre Mutter ausgeben. Wovon würden sie leben? An dieser Stelle verschwammen Mirabellas Vorstellungen. So oder so, dachte sie. Ursula würde wissen, was zu tun wäre. Und die Muttergottes würde für sie sorgen.
    Denn die Jungfrau Maria, ihre Schutzpatronin, hatte letztendlich doch alles zum Guten gewandt für sie und für ihre Freunde. All die Jahre, in denen Mirabella geglaubt hatte, dass Maria sie nicht hörte, dass sie sich nicht um sie kümmerte, hatte sie über sie gewacht und ihre schützenden Hände über sie gehalten und diese Zeit der Vergeltung vorbereitet. Und nun hatte die Jungfrau die Leiden und den Kummer gerächt, den die anderen ihr und Ursula und Schwester Innozenz angetan hatten. Alle, unter denen sie gelitten hatten, waren tot: Schwester Clementia, Schwester Latburga, Schwester Dolorosa, Margareta, die dumme Cäcilie und Gerlinde, die immer so laut über Mirabella gelacht hatte.
    Aber sie, die Gerechten, lebten, und zeit ihres Lebens würde Mirabella nicht aufhören, der heiligen Gottesmutter dafür zu danken.
    »Ave Maria«, flüsterte sie. »Gratia plena.«
     
    Drei Wochen wütete die Krankheit im Kloster, dann zog sie sich genauso leise zurück, wie sie sich angeschlichen hatte. Nachdem Schwester Walpurga als letztes Grippeopfer im Friedhof hinter der Klosterkirche begraben worden war, fegten die Schwestern und Kinder den Krankensaal aus, schrubbten Böden und Fenstersimse mit Essigwasser und verbrannten die blutigen Bettlaken im Kohlenbrenner im Keller.
    Es war vorbei. Schwester Ludwiga übernahm die Küche, Schwester Rosaria hielt den Unterricht, und für den Übergang kümmerte sich Mutter Oberin persönlich um die Krüppelkinder. Ein neuer Pfarrer kam aus Freiburg, er hieß Wundsam und sah aus wie der jüngere Bruder von Pfarrer Labs, aber sie waren nicht verwandt. Man hielt nun wieder dreimal täglich Andacht,morgens, mittags und abends, und sonntags um acht war Messe.
    Zwei ganze Bankreihen fehlten, als sie sich zur ersten Messe von Pfarrer Wundsam in der Kirche versammelten, aber sie rückten einfach nach vorne auf, zuerst die Kinder, dahinter die Schwestern und noch weiter hinten die Soldaten, die vom Krankenlager aufstehen konnten. Pfarrer Wundsam trug eine grüne Stola über seinem weißen Priestergewand, er hob

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