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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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erinnerte sich sofort wieder. Im letzten Winter hatte sie den Brief bekommen. Er hatte sie vollkommen durcheinandergebracht, damals, wochenlang hatte sie darüber nachgedacht, was sie tun sollte. Sie hatte das Schreiben so oft gelesen, immer und immer wieder, am Ende konnte sie die Worte auswendig. Irgendwann war der Brief dann verschwunden, siehatte ihn nicht gesucht. Im Grunde genommen war sie froh gewesen, dass er weg war. Hier also hatte er gesteckt, in der Tasche ihres Wintermantels, den ganzen Frühling, den Sommer und den halben Herbst über.
    Sie drehte den Umschlag hin und her. Vorne standen ihr Name und ihre Adresse, die Rückseite war leer. Kein Absender, es gab ja auch keine Adresse, an die man den Brief hätte zurückschicken können. Maria hatte trotzdem sofort gewusst, wer ihn geschrieben hatte. Sie kannte die Handschrift so gut, diese fahrige, unsichere Kinderschrift, obwohl Chiara inzwischen siebenunddreißig Jahre alt war.
     
    Schwäbisch Hall, den 12. Februar 1927
    Liebe Maria,
    Du hast Dich nimmer blieken lassen abr nun kommn wir Mal zu Dir. Der Zirkus Eltinger gaschdird ab der zwoten Aprilwoche in Düsseldorf komsch Du uns besuche? Mutter würde sich gewis gans Unbändig freun und die anderen auch voralem Mirko.
     
    Chiara hatte immer den Kontakt zu ihr gehalten. In all den Jahren, seit Maria den Zirkus verlassen hatte, hatte sie ihr geschrieben. Kurze Briefe, die manchmal kaum zu entziffern waren wegen der vielen Rechtschreibfehler.
Komm uns doch besuchen, lass Dich wieder einmal blicken
, beschwor sie jeder Brief aufs Neue. Aber Maria war nie gekommen. Sie hatte jedoch manchmal zurückgeschrieben, an die postlagernden Adressen, die Chiara ihr angab. So wusste Chiara, dass Maria Mirabella wiedergefunden hatte, und wenn Chiara es wusste, dann wusste es auch Mirko.
    Mit Mirabella zusammen wäre sie hingegangen, doch Mira war geradezu entsetzt gewesen, als sie ihr vorgeschlagen hatte, den Zirkus zu besuchen.
Nein , Mutter . Ich habe mit dieser Angelegenheit nichts mehr zu schaffen.
Wie missbilligend sie Maria angesehen hatte. Niemand sah Maria so missbilligend an wie Mirabella.
    Sie verachtet mich, dachte Maria. Deshalb hatte Mirabella sie nicht mit zum Zirkus Eltinger begleitet, deshalb verdrehtesie die Augen und verzog das Gesicht, wenn Maria in der Rheinterrasse auftauchte.
    Die Dunkelheit legte sich draußen vor die schmalen Oberlichter. Zeit, nach Hause zu gehen.
    Aber wozu? dachte Maria.
    Der Mantel roch nach Mottenkugeln. Sie hätte ihn auf dem Balkon auslüften lassen sollen, bevor sie ihn wieder angezogen hatte. Der Schnitt war auch nicht mehr aktuell. Man trug jetzt schmal geschnittene Zweireiher mit voluminösen Pelzkragen; Marias Wintermantel war hingegen einreihig, lang, viel zu weit. Und diese Farbe, mauve, wie um alles in der Welt war sie nur auf diese Farbe gekommen? Mauve machte sie blass und alt, gerade im Winter.
    Sie holte ihre Zigaretten aus der Tischschublade und zündete sich eine an. In den letzten Monaten hatte sie sich das Rauchen angewöhnt. So hatte sie etwas zu tun, wenn sie keine Perlen aufreihte oder Draht erhitzte und bog, und Mirabella hatte noch einen weiteren Grund, sie zu verachten.
    Beim Rauchen lehnte sie sich mit dem Rücken an die fertig gepackten Schmuckkartons, die morgen früh abgeholt werden würden. Sie blies den Rauch zur Zimmerdecke. Der Spiegel an der gegenüberliegenden Wand zeigte ihre Stirn, den Ansatz ihrer Haare, ein graubrauner Zentimeter unter der roten Färbung. Sie musste zum Frisör, zum Nachfärben und Ondulieren, sie wusste nur nicht, wann.
    Sie belieferten inzwischen alle großen Warenhausketten in der Umgebung und viele kleinere Einzelhändler dazu. Eigentlich hätten sie noch viel mehr verkaufen können, doch sie bewältigten ja die bestehenden Aufträge kaum. Seit Wochen suchte sie nun schon ein geeignetes Mädchen, das sie im Atelier unterstützte, aber sie hatte die Richtige noch nicht gefunden.
    Sie muss zu den anderen beiden passen, dachte Maria, während sich der Zigarettenrauch wie ein zarter Lampenschirm um die nackte Glühbirne legte. Wenn sie sich nicht verstehen, dann gibt es den ganzen Tag Streit, und das sind die besten Verkaufszahlennicht wert, dass sich die Mädchen hier von morgens bis abends zanken. Hilde und Elfie verstanden sich gut, weil sie sich so ähnlich waren. Elfie war, wie Hilde gewesen war, als sie vor einem Jahr bei ihr angefangen hatte: ein schüchternes, durch und durch verunsichertes Ding.
    Hilde hatte

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