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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Schulter und fühlte, wie die Leere langsam aus ihrem Körper wich. Sie hatte wieder das Gefühl, dass sie ihn beschützen musste, wenn sie nur gewusst hätte, wovor.
    »Sehen Sie? Es geht doch gut«, sagte sie.
    »Ich tanze«, sagte er glücklich. »Und ich wusste gar nicht, dass ich tanzen kann.«
     
    Irgendwann packten die Musiker ihre Instrumente ein. Die Kerzen in den Lampions waren längst verloschen, auf der Wiese und in den Bäumen glitzerten Glühwürmchen. Zwei Frauen schütteten das heiße Wurstwasser in ein Beet und trugen den Kessel weg. Von der Erde stieg weißer Dampf auf und vermischte sich mit der schwarzen Nachtluft.
    Mira stand zwischen Otto und Nero und spürte auf einmal, wie furchtbar müde sie war.
    »Wir gehen nach Eller und nehmen uns ein Taxi«, sagte Otto.
    »So spät bekommt ihr kein Taxi mehr«, rief ihnen eine der Frauen zu, die mit einem Stapel leerer Teller an ihnen vorbeiging.
    »Bleibt hier«, schlug die Frau vor, als sie wiederkam, und sie immer noch ratlos zusammenstanden. »Zwei Strohsäcke und Wolldecken finden sich immer noch. Und Frühstück gibt’s morgen umsonst.«
    »Bleibt hier«, sagte auch Nero. Inzwischen duzten sie sich, auch Mira und Otto, denn in der Siedlung Freie Erde blieb keiner lange beim Sie.
    Otto sah Mira an, aber sie kam nicht mehr dazu, irgendetwas zu entscheiden.
    Schwarze Schatten lösten sich aus den Büschen und rannten auf sie zu, und während sie rannten, begannen sie zu brüllen. SA, dachte Mira, die Faschisten, sie sind gekommen, um sich zu rächen. Sie hatte gar keine Angst, als sie das dachte, dazu ging alles viel zu schnell.
    Später würde ihr Herz bis zum Zerspringen schlagen, wenn sie an den Überfall dachte, aber im Moment, in dem es passierte, war sie ganz ruhig.
    Die Faschisten hatten Messer dabei und Schlagringe und Knüppel, und mindestens einer von ihnen trug eine Pistole. Sie schrien, als ob sie es wären, die überfallen wurden, sie rannten auf die Siedlung zu und hauten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Zwei junge Frauen hoben ihre leeren Backbleche wie Schilde, aber die schlugen sie ihnen weg.
    Es waren genau doppelt so viele SA-Männer wie Siedler. So genau hatten die Faschisten ihren Überfall geplant. Sie teilten sich in Zweiergruppen auf, paarweise griffen sie sich einen Anarchisten und schlugen ihn, bis er am Boden lag, dann traten sie auf ihn ein. Sie wollten nicht töten, es ging vor allem darum, dem Bolschewistenpack eine Lektion zu erteilen. Denn auch wenn sich die Linke in unzählige Gruppen aufsplitterte,die nichts miteinander zu schaffen haben wollten, für die Nazis waren sie alle eins.
    Dabei hatte sich die einzige anwesende Bolschewikin längst hinter einem Schuppen verkrochen. Nero hatte Mira und Otto am Ärmel weggezogen, bevor die Faschisten sie bemerkt hatten.
    Da standen sie nun und hörten die Geräusche auf der anderen Seite, das Geschrei, das irgendwann immer leiser wurde. Die Faschisten, die erst vor Wut brüllten und dann vor Anstrengung keuchten. Die Anarchisten, die erst heulten und dann um Gnade wimmerten.
    Irgendwann war es nur noch ein Stöhnen und Röcheln. »Jesus und Maria«, schluchzte eine Frauenstimme. Da gab Nero Mira und Otto ein Zeichen, dass sie stehen bleiben sollten, und schlich sich nach vorn. Otto zögerte kurz und folgte ihm, nur Mira blieb zurück, weil ihre Beine so zitterten, dass sie die Kontrolle über sie verloren hatte. Diese verdammten Faschisten, dachte sie, und im nächsten Moment, als habe sie ihn durch ihre Gedanken heraufbeschworen, stand plötzlich ein SA-Mann vor ihr.
    Sie öffnete den Mund, um zu schreien, und erwartete selbst, dass sie keinen Laut hervorbringen würde, und der SA-Mann erwartete es auch, seine Zähne glitzerten im Licht der Glühwürmchen, er lachte sie aus. Sie schrie aber doch, laut und kraftvoll und alles durchdringend.
    Dann war es wie in einem Kino, in dem der Filmprojektor plötzlich schneller und schneller läuft und das Filmband durch den Lichtstrahl fliegt und die Bilder über die Leinwand rasen, so dass man keinen Sinn mehr erkennen kann: Links vom Schuppen tauchte Otto auf und rechts Nero. Beide schrien, als sie den Nazi sahen, der plötzlich eine Waffe in der Hand hatte, die er auf Mira richtete, und jetzt brüllte auch er und schoss, und dann wurde die Leinwand schwarz.
     
    Es war nicht Mira, die getroffen worden war, sondern Nero Battaglia. Er lag auf ihr, und sie fühlte sein warmes Blut auf ihrenkalten Armen und auf ihrem Bauch,

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