Zitronen im Mondschein
riet ihr Langhoff. Mira sah Lari an, sie wartete darauf, dass er mit den Augen rollte und lachte, aber er starrte nur hilflos zurück.
Nachdem sie sich von Anselm getrennt hatte, dachten alle, dass sie und Otto nun ein Paar werden würden. Nur Mira wusste nicht, was sie denken sollte.
»Probier es doch wenigstens einmal aus«, sagte Gudrun. »Vielleicht bringt dich das ja auf andere Gedanken.«
Mira war sich nicht einmal sicher, ob die Geschichte mit Anselm wirklich ganz vorbei war. Die Trennung war so einfach verlaufen, unwirklich einfach. »Ich brauche eine Pause«, hatte sie gesagt. »Ich muss nachdenken, nach allem, was geschehen ist.«
»Mira«, hatte er erwidert. »Ich bitte dich. An dem Überfall auf die Anarchistensiedlung bin ich gewiss nicht schuld. Ich finde es auch durchaus bedauerlich, aber du weißt, wie die Faschistenschweine sind, und letztendlich muss man auch sagen, dass diese Radaubrüder die Sache herausgefordert haben, gewissermaßen.«
»Ach was«, sagte Mira. »Es geht gar nicht um die Anarchosyndikalisten. Es geht um dich und um mich.«
»Mit diesen privaten Dingen kannst du mir jetzt nicht kommen. Ich habe keinen Sinn dafür. In drei Wochen sind die Reichstagswahlen.«
Er half ihr sogar dabei, ihre Kartons hinunter auf die Straße zu tragen. »Erhol dich gut«, sagte er, nachdem sie die Schachteln in den Kofferraum des Taxis geladen hatten. Als ob Mira auf eine Reise ginge. »Es wird alles wieder gut.« Dann schlug er die Tür von außen zu.
Anselm war sich so sicher, dass sie wieder zu ihm zurückkommen würde.
Gudrun war sich so sicher, dass alles vorbei war.
Nur Mira war sich ganz und gar nicht sicher.
Sie beschloss, die Entscheidung zu verschieben. Sie hatte keine Kraft, sich damit auseinanderzusetzen. Sie musste ständig an Nero Battaglia denken und ob er ihr Vater war und ob er es gewusst hatte und warum er es ihr nicht gesagt hatte. An die Erscheinung, die ihre Mutter gehabt hatte.
Als sie abends ihre Arbeit im Kurfürsteneck beendete, wartete Otto auf sie. Er lehnte an einer Straßenlaterne und stieß sich davon ab, als er sie sah. Gleich einen Tag nach dem Anarchistenfest hatte er Gudrun besucht, sie hatte es Mira gegenüber beiläufig erwähnt. Gudrun machte sich aber nun einmal nichts aus Otto, und Mira machte sich eigentlich auch nichts aus ihm, aber eben nur eigentlich. Es ist, wie es war. Und es bleibt, wie es ist, dachte Mira.
»Was willst du?«, fragte sie, schroffer als beabsichtigt, als Otto neben ihr stand.
»Allein kann man nicht glücklich sein, denn glücklich wird man nur zu zwein und niemals, niemals allein«, trällerte Otto, aber als er Miras Gesicht sah, hörte er auf zu singen.
Schweigend gingen sie die Bolker Straße entlang, wo zuerst die Kommunisten einen Stand hatten, an dem sie rote Rosen verschenkten. Ein paar Meter weiter verteilte die SPD Bleistifte. Keine Seife in diesem Wahlkampf. Vor dem Stand derNSDAP stand ein Leierkastenmann und sang mit großer Inbrunst Lieder von Kameradschaft und Vaterlandsliebe. Sie beschleunigten ihre Schritte.
»Was bist du so schweigsam?«, fragte Otto. »Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen, oder was?«
»Ich frage mich eben, was du von mir willst.«
»Was ich von dir will? Mit dir spazieren gehen.«
»Und warum mit mir? Weil Gudrun keine Zeit hat?«
Otto blieb stehen. Mira ging noch ein paar Schritte weiter, dann hielt auch sie an, aber sie drehte sich nicht zu ihm um. Sie hätte sich ohrfeigen können.
»Eifersüchtig«, stellte Otto amüsiert fest. »Du bist eifersüchtig.«
»Keineswegs.« Mira versuchte ihrer Stimme einen überzeugenden Klang zu geben, aber es misslang.
»Liebst du sie?« Sie stürzte sich in die Frage wie in einen Abgrund.
Das Grinsen verschwand aus Ottos Gesicht. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich sie liebe. Aber sie hat so etwas ungeheuer Anziehendes.«
Und ich, dachte Mira, was habe ich? Warum lädst du mich zum Essen ein, warum tanzt du mit mir, warum triffst du dich mit mir?
»Du hattest deinen Anselm«, erwiderte Otto. »Und Gudrun hatte ihre Pressmann. Jetzt ist alles anders, damit muss ein Mann erst einmal zurechtkommen.«
Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung. Mira dachte darüber nach, worüber Otto wohl nachdachte. Vielleicht dachte Otto darüber nach, worüber Mira wohl nachdachte. Als sie auf die Rheinpromenade einbogen, beschloss Mira, dass sie zu keinem Ergebnis kommen würden und genauso gut wieder reden konnten.
»Glaubst du an
Weitere Kostenlose Bücher