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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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denn es war bereits durch ihre Jacke und ihre Bluse gedrungen. Der Film lief jetzt wieder in gleichmäßig ratternden Bildern, aber es gab nichts mehr zu sehen. Der SA-Mann hatte die Waffe fallen lassen und war weggerannt. Otto war ebenfalls weg, vielleicht kümmerte er sich um die anderen Verwundeten.
    Mira lag unter Nero. Er hat mir das Leben gerettet, dachte sie zuerst und dann:
Mirabella soll bei ihrem Vater bleiben, dann wird ihr kein Leid geschehen.
Das hatte ihre Mutter gesagt, die es von der Jungfrau Maria gehört haben wollte. Und nun lag sie hier mit einem Mann, der für sie gestorben war, und ihr war kein Leid geschehen.
    »Bist du mein Vater, Nero?«, fragte sie leise, aber laut genug für ihn, er lag ja in ihren Armen.
    Sie spürte, wie er sich bewegte, sie fühlte seinen Kopf an ihrem Arm, er nickte. Einmal, zweimal, das genügte. Ja, ich bin dein Vater.
     
    Dann war auch er weg, und sie war allein in einem dunklen Raum. An der Wand stand eine dünne senkrechte Linie aus weißem Licht, das war die Stelle, an der die Vorhänge aufeinandertrafen. Draußen war es Morgen, aber hier drinnen war es Nacht.
    Wo war Nero? Otto hatte Mira hier in diesen Raum gebracht, gleich nachdem der Schuss gefallen war, jetzt erinnerte sie sich wieder. Er hatte sie an den Schultern gehalten und hereingeführt wie eine alte Frau. »Ich bin gleich wieder zurück«, hörte sie ihn sagen. »Ruh dich aus.«
    Und die andere Erinnerung, dass Nero auf ihr lag, dass sie sein Blut spürte und sein Nicken?
    »Er war sofort tot«, sagte Otto, als er später wiederkam und die Vorhänge aufzog, weil sie ohnehin nicht schlafen konnte. »Die Kugel hat ihn direkt ins Herz getroffen.«
    Was war geschehen?
    Der Film war gerissen, die Geschichte war aus.

II.
    Fürs Erste kam sie bei Gudrun in der Suitbertusstraße unter. »Sicher kannst du hier wohnen«, sagte Gudrun. »Mich störst du nicht, ich bin ohnehin kaum zu Hause.«
    Mira packte ihre Sachen in eine kleine Kommode, den Rest schleppte sie auf den Dachboden. Sie hatte ein schlechtes Gewissen: Zwar störte sie Gudrun nicht, aber Gudrun störte sie. Ihre schmutzigen Kleider auf dem Boden, das dreckige Geschirr im Waschbecken, die rotbraunen Haare in der Bürste, die Tatsache, dass Gudrun die ganze Zeit vor sich hin sang. »Freiheit, die ich meine«, sang sie und dann übergangslos »Maria durch ein Dornwald ging«.
    Sei doch einmal still, wollte Mira schreien, aber das ging natürlich nicht, sie war ja nur zu Gast hier, nachdem sie sich von Anselm getrennt hatte.
    In Gudruns überfülltem, unordentlichem, lautem Raum war kein Platz für Mira. Kein Platz für ihre Gedanken. Sie sehnte sich nach einem kleinen ruhigen Zimmer, aber das war unbezahlbar.
    Nordwest ran unternahm jetzt immer weitere Reisen in die ganze Umgebung. Sie traten in Krefeld, Kleve, Essen und sogar in Bochum auf, und nach den Vorstellungen kam man bei irgendwelchen Genossen unter, die noch ein Bett frei hatten. Für gewöhnlich stritten sich die Zuschauer darum, wer den schwarzen Lari mit nach Hause nehmen durfte, und wer ihn bekam, musste auch Mira aufnehmen. »Der Lari passt auf dich auf«, sagte Wolfgang Langhoff, der sich wie die anderen Sorgen um Mira machte.
    »Verfluchter Dreck, diese Geschichte in der Anarchistensiedlung«, sagte Fritz und spuckte seinen Kautabak auf die Bühne, obwohl ihm Langhoff hundertmal gesagt hatte, dass das eine Schweinerei sei. »Das nimmt einen natürlich verdammt mit, das erste Mal, das einem so etwas passiert.«
    Sie waren alle schon so oft überfallen und verprügelt worden, aber an das erste Mal erinnerte sich jeder von ihnen ganz genau. Sogar Millie hatte ein erstes Mal, an das sie sich erinnern konnte, ihr hatte ein Nazi in Duisburg so ins Gesicht geschlagen, dass die Lippe platzte und drei Zähne locker wurden. »Aber davon lassen wir uns doch nicht kleinkriegen«, sagte sie stolz.
    Es lag ein leichter Vorwurf in diesem Satz.
    Denn Mira hatte sich kleinkriegen lassen, nach dem Überfall auf die Anarchistensiedlung, bei dem ihr selbst ja nicht einmal etwas geschehen war. Seitdem war sie nicht mehr dieselbe. Sie trat immer noch auf, hielt die Transparente mit den Sprüchen hoch und sagte ihren Text laut und deutlich auf, doch sie war nicht mehr richtig bei der Sache. Es war, als ob sie nur zur Hälfte anwesend war, die andere Hälfte war in jener Nacht in der Siedlung Freie Erde verloren gegangen.
    »Halt dich an den Lari, der bringt dich früher oder später wieder zum Lachen«,

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