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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Anstalten, auf sie zuzukommen, es wirkte fast, als wartete er darauf, dass sie wieder gingen. Was ist das für ein Benehmen? dachte Maria. Will er denn keine Kundschaft? Wenn sie alleine gewesen wäre, hätte sie den Laden wiederverlassen, aber Madame Argent schien den Widerwillen des Verkäufers gar nicht zu bemerken. Mit hoch erhobenem Kopf trat sie an die Theke.
    Der Mann legte seine Hände flach auf den Tisch, neben eine Schere, als wollte er sie für alle Fälle in Reichweite haben. »Guten Tag, die Damen«, sagte er. »Sie wünschen?«
    »Stoff für einen Mantel. Und alles, was man sonst noch dazu braucht.«
    Sein Adamsapfel wanderte auf und ab, wie ein drittes Auge, das sie abschätzig anstarrte und beurteilte. »Drillich«, sagte er. »Genau vor Ihnen.«
    Madame Argent warf einen schnellen Blick auf die Stoffballen, die in den Regalen vor der Theke lagen, und zog dann die Augenbrauen hoch.
    »Doch nichts Minderwertiges«, sagte sie. »Loden oder Wollbouclé.«
    Der dicke Mann machte eine vage Handbewegung. Seine Rechte fuhr von oben nach unten, von links nach rechts, als segnete er die Regale mit den Wollstoffen. »Hier. Aber können Sie auch bezahlen?«
    Madame Argent tat, als ob sie seine Frage nicht gehört hätte, während sie näher an das Regal trat. Ihre schmalen weißen Finger prüften die Stoffe, ihre Lippen bewegten sich lautlos. »Diesen«, meinte sie schließlich. »Sechs Meter. Und für das Futter Baumwollflanell, ebenfalls sechs Meter.«
    Der Stoff, den sie ausgewählt hatte, war hellbraun wie Schlamm, wie das Fell einer Kuh. Maria hätte sich etwas anderes ausgesucht, eine fröhlichere Farbe, aber Madame Argent wirkte so zielsicher, dass sie nichts zu sagen wagte. Der Mann hinter dem Ladentisch sagte ebenfalls nicht, er machte auch keine Anstalten, den Stoffballen aus dem Regal zu ziehen, stattdessen kritzelte er auf einem Blatt Papier herum. »Acht Mark fünfundneunzig«, verkündete er schließlich.
    »Wir brauchen auch noch sechs Knöpfe, einfache zum Beziehen, und Garn und etwas Litze.« Madame Argent zeigte auf die Sachen.
    Der Mann notierte die Preise. »Neun Mark siebenunddreißig alles zusammen«, meinte er dann, ohne aufzublicken.
    Madame Argent nickte Maria zu. Sie zog ihren Lederbeutel unter der Bluse hervor und zählte die Groschen ab. Vier, fünf, sechs, sieben Mark achtundfünfzig. Mehr hatte sie nicht. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Zum ersten Mal seit Tagen war ihr nicht mehr kalt, sondern heiß. Die Augen des Mannes hingen auf dem Geld.
    Madame Argent legte noch zwei Markstücke auf den Tisch. Der Mann nahm die Münzen vorsichtig auf, als wären sie klebrig, anschließend zählte er das Restgeld ab, vermaß und schnitt den Stoff und schlug alles in dünnes Seidenpapier ein.
    Hinterher gingen sie zu einem Schuster und bestellten ein paar Stiefel für Maria, obwohl sie nun keinen Pfennig mehr in ihrem Beutel hatte. Auch der Schuhmacher rechnete den Preis aus und ließ Madame Argent bezahlen, bevor er Marias Füße abmaß. Vielleicht war das normal, vielleicht mussten alle Kunden bei ihm in Vorkasse treten, so wie vielleicht auch der Stoffhändler alle seine Kunden abkassierte, bevor er die Ware zurechtschnitt. Aber auch wenn das Prozedere ganz normal war, so war es die respektlose Behandlung bestimmt nicht, dachte Maria, als sie durch die niedrige Tür des Schusters zurück auf die Straße trat. In dem Laden war es recht warm gewesen, und jetzt schlug ihr die Kälte ins Gesicht wie eine geballte Faust. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten.
    »Warum haben Sie für mich bezahlt?«, fragte sie Madame Argent mit belegter Stimme. »Es wird Monate dauern, bis ich Sie zurückzahlen kann.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, gab Madame Argent zurück. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, denn sie atmete tief ein und öffnete die Lippen, aber dann schüttelte sie den Kopf und ging schweigend weiter.
    Warum wundere ich mich so darüber, wie uns die Leute behandeln? dachte Maria. Früher waren wir doch genauso.
Nimm die Wäsche von der Leine, die Zigeuner kommen.
Kaum tauchte irgendwo ein buntes Kopftuch, ein goldener Ohrring, einschwarzer Schnurrbart auf, schon rannte man los, um nachzusehen, ob die Hintertür auch gut verriegelt war.
    Jetzt gehöre ich dazu, dachte sie. Ich bin eine von ihnen. Der Gedanke erschreckte sie, aber gleichzeitig machte er sie auch stolz.
    Sonntags gingen sie zur Kirche, nicht alle, aber ein Großteil der Zirkusleute. In den

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