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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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strenger, harter, sehr gläubiger Mann. Er bestimmte, und die Mutter und Ludwig fügten sich. Das war Maria vertraut, aber ansonsten waren die Familien ganz und gar unterschiedlich.Bei Ludwig Wunder hatte es Bücher gegeben, Klavierunterricht und Hausmusik, und der Pfarrer war oft zu Besuch, weil er und Wunders Vater befreundet waren. »Es war so eng und düster. Es war unerträglich«, erklärte Ludwig. »Ich bin froh, dass es vorbei ist.«
    »Und? Besuchst du sie manchmal, deine Leute?«, fragte Maria. Sie lag in seinem Arm auf ihrem Feldbett, und sie sprachen in die Dunkelheit des Zeltes hinein.
    »Nie«, sagte er. »Ich sollte Arzt werden oder Pfarrer. Aber ich wollte malen. Mein Vater konnte es nicht billigen. Und er wird es auch nie billigen.«
    »Und du?«, erkundigte er sich dann. Sie erzählte ihm von dem Hof, ihren Brüdern und Schwestern. Von der Arbeit auf dem Feld, den Gänsen und den Schweinen, von den sanften, welligen Hügeln, dem Städtle und der Bühler, wo sie im Sommer Krebse gefangen hatten. Sie wollte ihm auch von ihrem Vater erzählen und von den Schlägen, aber es ging nicht. Sie schämte sich so dafür. Jetzt, da es so weit zurücklag, konnte sie es noch weniger fassen, dass sie sich niemals dagegen gewehrt hatte – dass sie geflohen war und die anderen ihrem Schicksal überlassen hatte.
    »Es klingt so idyllisch«, sagte Ludwig. »Warum bist du weggelaufen?«
    »Ich konnte es nicht mehr ertragen«, sagte sie, und ihre Stimme klang mit einem Mal so scharf und warnend, dass er schwieg. Sie spürte sein raues unrasiertes Kinn an ihrer Wange, die Hornhaut seiner Finger auf ihrer Brust. Sie schmiegte ihren nackten Oberkörper an seinen und fragte sich, ob sie ihn verärgert hatte, aber sie brachte es nicht über sich, ihn zu fragen.
    Sie redeten über ihre Träume, ihre Ziele, ihre Arbeit. Er erzählte ihr von den Künstlern in Paris, Wien, München, Berlin. Bald kannte sie die Namen so gut wie er. Van Gogh, Munch, Klimt, Kollwitz, Matisse. Wenn er die Bilder beschrieb, die ihn begeisterten, konnte sie sie vor sich sehen wie in einer Camera obscura.
    Sie erzählte ihm von den Menschen, die sich von ihr die Zukunft voraussagen ließen und was sie ihnen prophezeit hatte.
    Er zeigte ihr seine Bilder, und sie sah ihm beim Malen zu. Er zeichnete sie beim Essen, Reden, Nähen, Schlafen. Er malte auch ein Ölbild von ihr, das ihr nicht gefiel, weil sie sich fremd und hart darauf fand. »Du bist unzufrieden«, sagte er, als er sah, wie sie das Porträt betrachtete.
    »Glaubst du wirklich, dass ich so bin in meinem Innersten?«, fragte sie ihn. »So … schroff?«
    »Du bist jedenfalls nicht weich und auch nicht lieblich«, sagte er.
    Sie lachte und senkte rasch den Blick, damit er nicht sah, wie gekränkt sie war.
    »Maria«, sagte er sehr eindringlich und mit großem Ernst. »Ich liebe dich.«
    Am Sonnabend gingen sie zusammen in die Stadt, er kaufte ihr einen Ring mit einem grünen Stein, und sie kaufte ihm das Skizzenbuch, das er so lange betrachtet und dann doch nicht gekauft hatte.
    Sie war nicht die erste Frau in seinem Leben, und er war nicht ihr erster Mann, das wussten sie beide, obwohl sie nicht darüber sprachen, was vorher gewesen war. Die Vergangenheit war bedeutungslos. Auch die Zukunft war unwichtig, jedenfalls versuchte Maria sich das einzureden. Hin und wieder sprach Ludwig sie auf jene erste Nacht im Wahrsagerzelt an. Was sie damals gesehen hatte. Aber sie blieb hartnäckig und erzählte ihm nichts.
    Die Gegenwart war das einzig Entscheidende, sagte sie sich wieder und wieder.
    Jetzt und hier und heute liebte sie ihn, und er liebte sie.
    Aber Ludwig, der nicht wusste, dass er bald sterben musste, hörte nicht auf, von seinen Plänen zu erzählen. Von all den Tagen, Wochen, Jahren, dem ganzen unendlichen Leben, das vor ihm lag. Vor ihm und vor Maria. Denn er machte Maria zu einem Teil seiner Erwartungen. Wir, sagte er, wenn er von seinen Zielen sprach. Es machte sie so glücklich, dieses Wir. Und langsam, fast ohne dass sie sich dessen bewusst wurde, begann siezu hoffen, dass sie sich getäuscht hatte. Dass sie Madame Argents Erscheinung falsch verstanden hatte. Und dass es diese gemeinsame Zukunft wirklich geben würde, von der Ludwig erzählte.
    Der Winter begann mild und sonnig, und sie gaben bis weit in den Dezember hinein Vorstellungen. Erst eine Woche vor Weihnachten bezogen sie ihr Winterlager in Freiburg. Für Ludwig gab es im Zirkus nicht mehr genug zu tun, er suchte Arbeit und

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