ZITRONENLIMONADE (German Edition)
hatte.
Wie
konnte es sein, dass mir diese von hier aus harmlos aussehenden Treppen solche
Schwierigkeiten bereiteten? Kurz erwog ich, in Zukunft nur noch Gebäude zu
betreten, die ebenerdig waren oder über einen Fahrstuhl verfügten, als mich
Lisa aus meinen düsteren Grübeleien riss. "Machen Sie sich jetzt nicht
selbst fertig, nur weil Ihnen diese Treppen schwer gefallen sind! Sie müssen
ihr Gefühl und Ihr Zutrauen für Ihre rechte Körperseite erst wieder entwickeln.
Erst gestern hatte ich einen Patienten auf der Treppe, den wir am Ende zu zweit
hinunterhieven mussten, weil es ihm genauso ging wie Ihnen. Haben Sie Geduld,
auch Sie werden irgendwann wieder ganz normal Treppen laufen können." Ha, die hatten alle gut reden mit ihrem
ewigen Geschwätz von Geduld! Ich hatte keine, zum Donnerwetter! Mein Vorrat an
Geduld war in den letzten Wochen völlig erschöpft worden, es reichte jetzt. Wie
lange sollte ich denn noch in diesem dämlichen behinderten Zustand verharren?
Ich war immerhin schon Dreißig. Sollte ich vielleicht warten bis zum
Rentenalter? In dem Zeitabschnitt, wo andere begannen, Krücken, Gehwägen und
Rollstühle zu benutzen konnte ich dann eventuell wieder frei laufen? Nein, ich
wollte auf der Stelle aufstehen und überall ganz normal hinlaufen und - rennen
können, ich sehnte mich mit aller Macht nach meinem früheren Leben zurück, welches
mir jetzt in jeder Beziehung wie das
Paradies auf Erden erschien…
Ein
dicker Kloß bildete sich in meiner Kehle und bevor ich hier noch begann, der
verständnisvollen Lisa etwas vorzuheulen, verkrümelte ich mich am besten
schnell. Zum Glück war die Therapieeinheit ohnehin zu Ende und ich konnte in
mein Zimmer zurück.
Bis
ich durch die endlosen Gänge gefahren und dort angekommen war, hatte ich
genügend Menschen gesehen, denen es wesentlich schlechter als mir ging und die
ihren Rollstuhl vermutlich nie los bekämen. Menschen, bei denen der Arm und die
Hand gelähmt bleiben würden, solche, bei denen einzelne Gliedmaßen amputiert
wurden oder "frisch"
Querschnittgelähmte, die sich endgültig mit einem Leben im Rollstuhl abfinden
mussten. Und ich schämte mich für meinen kindischen Trotzanfall; mein
unverwüstlicher Optimismus, der mir in meiner Lage schon bisher sehr geholfen
hatte, war zurückgekehrt. Meinen Arm und meine rechte Hand samt den Fingern
konnte ich ja schon wieder relativ normal bewegen. Da würden auch die Kraft,
das Gefühl und die Steuerung im rechten Bein bald wieder vollständig
funktionieren! Irgendwann würde ich es schaffen, diese verdammte Treppe, jede
Treppe, hoch und runter zu gehen, das schwor ich mir. Und wenn es bis an mein
Lebensende dauern sollte!
Dienstags
überschlugen sich die Ereignisse. Robert rief mich morgens an. "Hallo
Christina. Wie wäre es, wenn wir beide uns heute nach ihren Therapien gegen
halb fünf in der Cafeteria treffen würden? Bringen Sie das Schreiben Ihrer
Firma mit, dann besprechen wir das weitere Vorgehen und machen einen Termin mit
dem Anwalt aus."
Als
ich den Hörer auflegte, fühlte ich mich richtig aufgekratzt, so, als ob ich ein
Rendezvous vereinbart hätte. Schön, dass ich Robert heute wieder sehen würde. Punkt
halb fünf fuhr ich - dezent geschminkt und frisiert zur Cafeteria hinunter und
da stand er schon in der Eingangstür!
Ich
ertappe mich dabei, wie sich bei seinem Anblick ein warmes Gefühl, eine Art
Kribbeln in meiner Bauchgegend ausbreitete, weigerte mich aber, dies genauer zu
analysieren. Lag vermutlich einfach daran, dass er sich um mich kümmerte und
nett zu mir war…
Wir
suchten uns ein ruhiges Plätzchen an einem Zweiertisch am Fenster, ganz
selbstverständlich half er mir, mich vom Rollstuhl auf den normalen Stuhl
umzusetzen. Als unser Kaffee vor uns stand, besprachen wir das weitere
Vorgehen. Ich hatte mich jetzt dazu entschlossen, nicht mehr in meiner Firma zu
arbeiten. Ich wollte diese ganze verlogene Bande nicht mehr sehen! Aber
kampflos würde ich nicht aufgeben. Sie sollten mir eine entsprechende Abfindung
zahlen und die sollte höher sein als ihr lächerlich geringes Angebot. Robert
unterstützte mich darin. " Sie haben völlig Recht. Und Sie sitzen am
längeren Hebel. Sie sind der Öffentlichkeitsprofi und die Firma wird es sich
dreimal überlegen, Sie als hervorragende Mitarbeiterin und jetzige Behinderte
übers Ohr hauen zu wollen. Wenn Sie das publik machen, haben die ein schweres
Imageproblem." Robert versprach mir, das "freundliche"
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