ZITRONENLIMONADE (German Edition)
sofort.
Stattdessen verhielt ich mich wie eine
erwachsene Dreißigjährige, löste die Bremsen des Stuhles und fuhr ganz dicht
vor ihre elegant bestrumpften Füße, die in schwarzen Wildlederpumps steckten.
"Sieh. Mich. An", forderte ich sie
auf. "Sieh genau hin und hör auf - so wie Mark übrigens auch - meinen
Gesundheitszustand herunter zu spielen. Ich werde nicht in ein paar Wochen hier
fröhlich raus spazieren. Ich spreche nur langsam und stottere. Mein rechtes
Bein ist völlig gelähmt, ich spüre nicht mal eine Berührung. Gott allein weiß,
ob und wann sich da etwas bessern wird .Mein Arm ist nur sehr eingeschränkt
beweglich, ebenso die Hand." Ich angelte mit links auf meiner Bettdecke
nach dem Buch, welches Karina mir da gelassen hatte und warf es meiner Mutter,
die es ungeschickt auffing, zu. "Da kannst du mal sehen, mit was ich mich
rumschlagen muss und was ich alles wieder neu lernen soll. Nächste Woche komme
ich in eine Rehaklinik, um wenigstens weitgehend meine Selbstständigkeit wieder
zu erlangen. Komm du mir nicht mit deinen Beschwichtigungsversuchen. Hier hast
du ausnahmsweise nichts im Griff! ° Die letzten Worte kamen fast triumphierend
heraus.
Mutter
hatte inzwischen das Büchlein aufgeklappt und blätterte fassungslos darin.
Erstmals erlebte ich, dass sie sprachlos war. Mein Vater nutzte das aus und
lief zu ungeahnter Hochform auf. "Elisabeth, Chris hat vollkommen Recht.
sie hat genügend damit zu tun, an ihrer Genesung zu arbeiten. Das Letzte, was
sie jetzt von dir hören möchte, sind schlauen Sprüche."
Empört
blickte ihn seine Frau an.
"
Hansjürgen", setzte sie in drohendem Ton an, aber er ließ sich nicht einschüchtern.
" Jetzt bist du still. Wir werden unserer Tochter helfen, soweit es in
unserer Macht steht und soweit sie das zulässt, klar? Frag´ sie doch einfach
mal, was sie sich jetzt gerade von uns wünscht!" Mama klappte tatsächlich
den Mund wieder zu.
Klasse
Papa, das war schon Jahrzehnte überfällig! Ich warf ihm ein dankbares Lächeln
zu.
Interessanterweise
beschäftigte sich Mutter immer noch mit dem Kinderbuch. Langsam trat sie auf
mich zu und hielt mir die erste Seite entgegen. "Hast du das mit den Knöpfen
schon mal probiert?"
Dann
ließ sie - tatsächlich leicht verlegen - das Büchlein sinken. "Christina,
entschuldige. Ich wollte dich nicht überfahren. Aber versteh´ doch, es ist für
mich nicht einfach, meine sonst so selbstständige, renitente Tochter in einem
Rollstuhl zu erleben und sehen zu müssen", sie schwenkte vielsagend das
Buch, "dass sie die einfachsten Dinge wieder mühsam lernen muss."
Sie
warf einen Seitenblick auf meinen Vater, der gerade verständnisvoll meine linke
Hand drückte. "Und für Papa
garantiert auch nicht." Sie schluckte. Ich schluckte ebenfalls.
Ich
hatte noch nie erlebt, dass meine Mutter sich bei mir jemals entschuldigt hatte.
Wie immer war ich schnell bereit, jemandem eine zweite Chance zu geben, sofern
ich spürte, dass er nachgab oder Schwäche zeigte. Auch so ein Manko, mir fehlte
die Skrupellosigkeit. Verena beispielsweise hatte in solchen Fällen keine
Probleme, den am Boden Liegenden nochmals kräftig zu treten, damit er ja nicht
mehr aufstand - im übertragenen Sinne natürlich! Aber das brachte ich wie gesagt nicht übers
Herz, und schon gar nicht bei meiner Mutter… Und wenn ich´s mir so überlegte,
hatte ich ja nicht nur schlechte Erfahrungen mit ihr gemacht. Sie hatte schon
immer was von einer Löwenmutter an sich gehabt: Bestimmend und stolz, aber jederzeit bereit, sich für ihre Kinder
in den Kampf zu stürzen.
Martina
und ich hatten genug peinliche Momente erlebt, wenn wir in aller Harmlosigkeit
von irgendwelchen Spielen mit unseren Freunden erzählten und Mutter dann diese
oder ihre Eltern zur Rede stellte, weil sie sich ihrer Meinung nach unfair
verhalten hatten. Aber auch in der Schule scheute sich Mutter nie, in die
Sprechstunden zu gehen, wenn wir ihrer Meinung nach von den Lehrern ungerecht
behandelt wurden.
Als
ich fünfzehn war, verliebte ich mich unsterblich in den damaligen Kapitän der
Schulbasketballmannschaft. Er ging kurze
Zeit mit mir, bis er eines Abends bei einer meiner Klassenkameradinnen, die
nicht so prüde war wie ich und gleich mit ihm in die Kiste stieg, landete und
mich von da an nicht mehr beachtete. Ich litt entsetzlich.
Mutter
traf den armen Kerl im Supermarkt und geigte ihm vor seinen Kumpels und den
gespannt lauschenden Kunden an der
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