ZITRONENLIMONADE (German Edition)
Vorgesetzter so
herzlos sein sollte, Ihnen in so einem Fall nicht frei zu geben, hätten Sie uns
als Eltern reinen Wein einschenken müssen, damit wir gleich zurückgekommen
wären. Wenn ich mir vorstelle, dass Christina todkrank tagelang mutterseelenallein
und völlig von Fremden abhängig hier im Krankenhaus herum liegen musste, wird
mir jetzt noch ganz schlecht!"
Mein Vater war echt sauer, ich spürte es
deutlich.
Mark hörte sich das alles scheinbar
unbewegt an, zerrte aber mit der rechten Hand am Knoten seiner schicken dunkelroten seidenen Krawatte. Das machte er
immer, wenn ihm unbehaglich zumute war. Aufgrund seiner grenzenlosen Selbstsicherheit
kam dieser Zustand bei ihm eher selten vor, aber ich kannte die Anzeichen. Dieselbe
Krawatte musste schon bei seinen letzten Besuchen bei mir, als ich ihm
bezüglich meines Zustandes so zugesetzt hatte, einiges aushalten. Wenn das so
weiterging, würde er sie nach meiner Genesung weg werfen können!
Er räusperte sich und warf mir einen
hilfesuchenden Blick zu. Oh nein, mein Lieber, da musst du jetzt allein durch,
dachte ich schadenfroh. Ich empfand es ebenfalls als Gemeinheit von ihm, mir zu
verschweigen, dass er so oft mit meinen Eltern telefoniert, ihre Post
unterschlagen und mich in dem Glauben
gelassen hatte, ihnen wäre ihr Urlaub wichtiger als meine Krankheit. Gott
allein wusste, dass ich wirklich wesentlich öfter, als Mark oder Sabine Zeit
hatten, seelischen Beistand hätte gebrauchen können. Außerdem war meinem Freund
seine Karriere ganz offensichtlich wichtiger als ich. Natürlich hätte er Urlaub
nehmen können, er machte genügend Überstunden. Wenn ich es mir richtig überlegte,
hatte ihm sein Chef vielleicht sogar angeboten, dass er frei nehmen könne und
er hatte es ausgeschlagen! Nein, ich verspürte kein Mitleid, sollte er sehen,
wie er gegen den geballten elterlichen Zorn ankäme! Betont unbeteiligt blickte ich zur Seite. Er
kapierte, dass er von meiner Seite keine Schützenhilfe erhalten würde.
Also straffte er seine Schultern und
richtete sich auf, als ob er in einem Gerichtssaal sein Plädoyer vortragen
müsste - ich sah förmlich vor mir, wie er imaginär seinen schwarzen Talar
überzog. Vermutlich hat so ein Riesencape irgendwelche Wunderkräfte. Jedenfalls
wirkten die jeweiligen Träger - Richter, Staatsanwälte und Anwälte - immer total kompetent und einschüchternd
darin, egal wie mickrig sie in Alltagskleidung aussahen. Mark hatte sich in
Sekundenschnelle auch ohne wirklichen schwarzen Umhang in seine Rolle als
Selbstverteidiger eingefühlt, blickte ernst in die Runde und begann, sein Verteidigungsplädoyer
vorzutragen:
"Frau Salten, Herr Salten, es tut mir
leid, wenn ich mich in dieser Angelegenheit in ihren Augen falsch verhalten
haben sollte." Er senkte zum Zeichen seiner Reue leicht den Kopf. Raffiniert,
schoss es mir durch den Kopf. Er hatte sich gar nicht falsch verhalten, sondern
meine Eltern dachten das nur!
" Glauben Sie mir, ich habe
wirklich mein Bestes getan, bin sofort zu Christina nach Stuttgart gerast und
habe ihren Transport per Hubschrauber nach München veranlasst, damit sie von
Professor Hieber, der ihr das Leben gerettet hat, operiert werden konnte.
Gleichzeitig wickelten wir in der Kanzlei gerade eine äußerst diffizile
Firmenfusion ab, die wegen der Aktienkurse an der Börse strikt geheim gehalten
werden musste; nur ein Seniorpartner und ich haben an diesen Verträgen
gearbeitet. Diese Zusammenlegung muss innerhalb weniger Wochen über die Bühne
gehen. Da war es mir unmöglich, Urlaub zu nehmen. Ich stand aber in ständigem
Kontakt mit Christinas Ärzten und habe meine Verlobte auch so oft es ging,
besucht. Und natürlich habe ich Sie beide nicht absichtlich über ihren Zustand
im Ungewissen gelassen. Vielmehr geschah das mit Christinas Einverständnis,
weil sie Sie nicht aufregen wollte."
Empört hob ich den Kopf und wollte dazwischen
gehen. Das ging mir jetzt mit der anwaltlichen Wahrheitsverdrehung ein bisschen
zu weit. Er warf mir einen drohenden Blick zu. Wag es jetzt nicht, mir in den
Rücken zu fallen, sollte der bedeuten. Meine Eltern sahen ihn sehr skeptisch
an, sie hatte er nicht eingewickelt. Gegen meine innerste Überzeugung - Mark hatte es wie ein Politiker geschafft,
bei seiner Rede mit vielen schönen Worten wenig zu sagen und den eigentlichen
Vorwürfen geschickt auszuweichen - beschwichtigte ich beide Parteien. Ich bin nun mal hochgradig
harmoniesüchtig,
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