ZITRONENLIMONADE (German Edition)
anderen gesunden Seite zusammen leichter bewegen.
Leichter war nicht das treffende Wort. Hätte ich die vorgegebenen Übungen
allein mit rechts machen müssen, dann hätte ich oft gar nicht gewusst, wie das
ging. Klang zwar seltsam, aber mein Körper hatte bestimmte Bewegungen, die
sonst automatisch und unterbewusst ablaufen, schlicht "vergessen".
Klar, das war wieder die Geschichte mit den abgestorbenen Nervenzellen. Was da
gespeichert gewesen war, war weg! Konnte man aber wieder lernen, behauptete
Karina.
" Denken Sie an ein kleines Kind. Das
muss alles erst lernen, ob das nun Greifen, Krabbeln, Stehen oder Gehen ist.
Und nach viel Übung klappt es irgendwann!" Sehr ermutigend, mit einem
Hosenscheißerchen und dessen Fähigkeiten verglichen zu werden! Nach der
täglichen "Gymnastik" half sie mir wie immer, mich in den Rollstuhl
umzusetzen.
Ich hatte jetzt ein neues
"Hobby", ich machte den Rollstuhlführerschein! Es war mein Pech, dass
das verdammte Ding partout nicht dahin fuhr, wohin ich wollte…In der Theorie
war es ganz einfach: Man steuerte mit zwei Händen - oder, wenn man zumindest
einen funktionsfähigen Fuß hatte, auch noch mit diesem. Mein rechtes lebloses
Bein ruhte wie immer auf der Fußstütze. Die andere war weg geklappt. Da aber meine rechte Hand nur sehr wenig
Kraft hatte, zog der Stuhl, wenn ich in die Greifräder fasste und mit dem linken
Bein "mitschob", grundsätzlich in die falsche Richtung. Und zack! Früher
oder später stand ich dann direkt vor einer der Wände. Es dauerte, bis ich den
Bogen raus hatte und wenigstens in meinem Zimmer einigermaßen steuern konnte.
Aber immerhin, ich fuhr selbstständig, beispielsweise zum Waschbecken und konnte - da alles rollstuhlgerecht und
entsprechend niedrig eingerichtet war - auch mal in den Spiegel gucken, meine
Hände waschen oder mir das Haar kämmen. Allein dieser gering erweiterte
Aktionsradius gab meiner Stimmung Auftrieb, auch wenn ich noch weit davon
entfernt war, mich allein irgendwohin umsetzen zu können, aufs Klo oder auch
nur zurück ins Bett. Dazu brauchte ich nach wie vor massive Unterstützung. Weil
heute Freitag war und das Wochenende bevorstand, war meine Stimmung gut. Mark
hatte mir versprochen, samstags UND sonntags auf Besuch zu kommen und mich im
Rollstuhl in die Cafeteria runter zu bringen, damit ich mal was anderes sähe
als immer nur mein Zimmer.
Es klopfte an der Tür. Wer war das denn? Zögernd
rief ich: "Ja, bitte?" und wurde vom Anblick meiner Mutter völlig
überrascht . Völlig
überrumpelt sah ich zu, wie sie zur Tür herein rauschte. An ihrer mit Haarspray fest zementierten
hochgesteckten dunkelbraunen Haarpracht traute sich kein Härchen, aus der Reihe
zu tanzen. Ihr voluminöser Busen wogte unter ihrer vanillefarbenen Seidenbluse,
als sie mit theatralisch ausgebreiteten Armen auf mich zukam. Ich konnte ihr im
Rollstuhl nicht entkommen - hätte auch komisch ausgesehen, wenn ich jetzt
rückwärtsfahren würde - und so fand ich
mich in einer nach Chanel No. 5 duftenden klammerartigen Umarmung wieder. Um
ihr sorgfältig aufgetragenes Make-Up nicht zu zerstören, erhielt ich von ihr
zwei angedeutete Luftküsschen. "Christina, mein Liebes, du siehst ja
fürchterlich mitgenommen aus. Was machst du nur für schlimme Sachen!"
Klar,
das musste ja jetzt kommen. Ich fragte mich ehrlich gesagt auch, wie ich das so
wunderbar timen konnte, während dieser Tagung meine Gehirnblutung zu nehmen und
es so hinzubekommen, dass meine rechte Seite gelähmt war und ich nicht mehr
richtig sprechen konnte! Ich hätte ihr das nur zu gerne mitgeteilt, aber Ironie
war an meine Mutter völlig verschwendet.
Sie erwartete auch gar keine Antwort von mir, sondern redete ohne Punkt und
Komma weiter, während sie zwei Schritte
zurück trat und mich prüfend von Kopf bis Fuß musterte. Wie immer war sie
sorgfältig geschminkt und tadellos gekleidet. Sie trug einen dunklen Bleistiftrock mit perfekt
auf Bluse und Rock abgestimmter Jacke darüber. " Wenn Mark, mit dem wir
übrigens beinahe täglich telefoniert haben, deinen schrecklichen Zustand (Danke
Mama, für die aufmunternden Worte) nicht derart herunter gespielt hätte, wären
wir doch schon viel früher von Mallorca heim gekommen, um uns um dich zu
kümmern, nicht wahr, Hansjürgen?"
Die
letzten Worte galten meinem Vater, der eben mit einem großen Blumenstrauß im Arm
vorsichtig ins Zimmer kam und mich schüchtern anlächelte. Wie immer kam er
nicht zu
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