ZITRONENLIMONADE (German Edition)
halbersticktes
Glucksen. Mutter beugte sich zu mir herunter. "Klasse, Christina. Besser
hätte ich es ihm auch nicht geben können!" Ich stellte fest, dass ich vor
lauter Zorn fast nicht gestottert hatte. Zufrieden damit, dass ich meine
Schlagfertigkeit wieder gefunden hatte,
genoss ich meinen Latte. Und war mir bewusst, dass man als Behinderter Narrenfreiheit
besaß - kein Gesunder würde sich mit einem "armen" Rollifahrer
anlegen. Um der Genderbewegung gerecht zu werden, hätte ich hier eigentlich geschlechtsneutrale
Formulierungen finden müssen, vielleicht so etwas wie GesunderiN; RollifahrerIn
oder MenschIn im Rollstuhl…Aber, so fand ich, man erlag bei der ganzen Gleichmacherei schnell der
Versuchung, das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Männer zu
benachteiligen. Wäre verdammt unfair, denn eigentlich mochte ich Männer. Jede
sollte sich einen halten!
Zudem hielten sich in meinem
Bekanntenkreis die Unsympathen, was die Geschlechtszugehörigkeit betraf, ziemlich
genau die Waage, Frauen waren also nicht per se die besseren Menschen. Außerdem
hätte der liebe Gott keine zwei Geschlechter mit diversen Unterschieden
geschaffen, wenn er gewollt hätte, dass alle gleich sind. Sie verzeihen mir,
wenn ich weiterhin die normale Umgangssprache benutze, nicht wahr?
Die gesamte halbe Stunde, die wir uns
im Café aufhalten, war mir sehr bewusst,
dass zwischen mir und den anderen, Nichtbehinderten, eine unsichtbare Grenze
verlief und ich hätte nichts lieber getan, als diese Grenze so schnell wie
möglich zu überschreiten. Ich saß als Einzige im ganzen Café im Rollstuhl am
Tisch, Mark hatte dafür extra einen Stuhl beiseite gestellt und Mama hatte
routiniert das Tischbrett des Rollstuhls abgezogen, damit ich mit den Beinen unter den Cafetisch fahren
konnte.
Mein rechtes Bein fiel bereits wieder
nach innen, da die Muskulatur, die man brauchte, um ein Bein in einer Stellung
zu halten, nicht "angesteuert" wurde. Noch schlimmer, die Muskeln,
die nicht beansprucht wurden, verkümmerten mit der Zeit. Und das geschah
relativ schnell. Eine von den Schwestern hatte mir mal gesagt, schon wenn man auch nur eine
Woche im Bett herum liegt, schwindet ein Drittel der Muskelkraft….Ich rechnete
jetzt lieber nicht nach, wie viel bei mir schon dahin geschwunden war!
Hier im Café machte ich außerdem alles
mit der linken Hand. Die rechte Hand ließ ich sicherheitshalber ruhig in meinem
Schoß liegen. Bloß keine Experimente in der Öffentlichkeit! Womöglich hätte ich
beim Versuch, mit rechts den Kaffeebecher zu ergreifen, diese in hohem Bogen
irgendeinem armen Unschuldigen am Nachbartisch in den Schoß geschüttet und
damit kostbare Körperteile beschädigt…. Ich war sowieso vollauf damit
beschäftigt, gleichzeitig zu trinken, mein Stückchen Kuchen zu essen,
einigermaßen der Unterhaltung meiner Besucher zu folgen und darüber hinaus mit
dem ungewohnten Lärmpegel und dem Trubel in dem Restaurant klar zu kommen.
Es herrschte ein ständiges Kommen und
Gehen, dichtes Gedränge am Kuchenbuffet und meine Ohren summten regelrecht von
den vielen Gesprächen an den Tischen, dem Klirren von Kaffeetassen und
Kuchentellern und dem Klingeln der Registrierkasse am Kuchentresen rings um uns
herum. Ich verspürte wieder bohrende Kopfschmerzen. Verflixt, ich war Trubel
nicht mehr gewöhnt. Und das mir, die ihr Geld unter anderem mit Vorträgen auf
Tagungen mit 200 Personen aufwärts verdient hatte…Aber wenigstens duftete es
hier nach Kaffee und Kuchen und für kurze Zeit hatte ich mal nicht den
typischen Krankenhausgeruch nach Desinfektionsmitteln und Medizin in der Nase.
Ich war jetzt ganz heiß darauf, endlich
in die Rehaklinik zu kommen und zählte
die letzten Tage bis zu meiner Verlegung. Am Montag nach dem besuchsreichen
Wochenende - meine Eltern und Mark hatten sich am Sonntag wohlweislich
abgewechselt; Mutter und Vater waren gegen vier Uhr nachmittags direkt vom
Krankenhaus wieder zurück nach Ludwigsburg gefahren und Mark war abends bei mir
gewesen - holte ich den Din-A-4
Zeichenblock, den mir Mutter am Vortag in die Hand samt gespitztem Bleistift in
die Hand gedrückt hatte (" Damit kannst Du in einer ruhigen Minute mal
probieren, wie das Schreiben mit deiner rechten Hand funktioniert"),
hervor. Ich lehnte den Block gegen mein linkes aufgestelltes Bein und ergriff
mühsam den Bleistift mit Zeigefinger und Daumen. Verdammt, ich wusste nicht mal
mehr, wie man einen Stift in der Hand hielt.
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