Zitronentagetes
halt, halt.« Marc wedelte unbeholfen mit den Händen in der Luft herum. »Du willst, dass ich mich bei dir entschuldige. Ist es das?«
Statt zu antworten, belegte sie den Toast mit Salatblättern, Saftschinken, Ananas und Käse.
»Würdest du die Güte haben, mich aufzuklären?«
Bevor sie zu sprechen begann, warf sie das Messer in die Spüle und sah ihm in die Augen – tief. »Möchtest du das wirklich?« Als er nickte, fuhr sie fort. »Was ist in Baltimore passiert?«
»Nichts?«
»Na bitte. Und du behauptest, wir sind echte Freunde. Ich sag dir was, Cowboy, aber es wird dir nicht gefallen. Wahre Freundschaft sollte es aushalten, dass man sich sein Herz ausschüttet, dass man Probleme anspricht. Selbst oder erst recht, wenn das größte Problem deine eigene Person ist. Du kommst mit dir, mit deinem Körper, nicht mehr klar. Bist unzufrieden und kannst dich nicht leiden. Freunde ertragen einander, auch wenn der eine oder andere sich zeitweise nicht ertragen kann. Es gibt Menschen, und zu denen gehöre ich, die über ihre Schwächen und Sorgen sprechen. Ich gebe zu, das ist nicht leicht und ich musste es auch erst lernen. Inzwischen weiß ich, wann ich Hilfe und Unterstützung annehmen sollte. Du hingegen, und wahrscheinlich die meisten Männer, kompensieren ihren Kummer, indem sie anderen welchen zufügen. Du fühlst dich permanent verraten: von Mitmenschen, von deinem Körper, von der ganzen Welt. Tiere können weglaufen, wenn man sie angreift. Pflanzen nicht, da sie ortsgebunden sind. Du bist wie eine solche Pflanze. Und behauptest dich auf andere Weise gegen deine Feinde. Indem du deine Dornen und Stacheln ausfährst und dich schlichtweg unmöglich benimmst.« Ihr Blick hielt ihn immer noch fest. Zu gern hätte sie gewusst, was ihm durch den Kopf ging. Eine Sekunde lang befürchtete sie, dass er sie gleich anschreien würde. Doch dann schloss er die Augen, öffnete sie und sah aus dem Fenster. Oje.
»War’s das?«, fragte er leise.
Wie zum Waffenstillstand hob sie die Hände. »Du hattest darum gebeten.«
»Hab’s nicht vergessen.«
»Gut.«
»Stimmt«, gab er kleinlaut zu. »Alles, was du gesagt hast, trifft zu. Ich … es tut mir leid.«
»Ich kann dich nicht hören«, provozierte sie ihn. Flo war sich durchaus bewusst, was sie da von ihm verlangte.
Er holte tief Luft. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Für mein Benehmen und alles, was ich in den letzten Tagen, oder sollte ich besser sagen, Monaten, an Gemeinheiten ausgesprochen habe. Es tut mir aufrichtig leid. Ich meine es ernst.«
Sie glaubte ihm. Er stand wie ein begossener Pudel vor ihr, als erwartete er eine Strafe. Ihr Ärger verflog.
»Es war eine Panikattacke.« Als hätte dieses erste Bekenntnis eine Lawine in Gang gesetzt, drängten all seine aufgestauten Ängste ans Tageslicht.
»Und ich dachte, in meiner Familie liegt einiges im Argen.«
»Das war alles?«, rief er erleichtert aus. Er nahm sie in die Arme und überzog ihr Gesicht mit unzähligen federleichten Küssen.
Und dann gab er ihr den einen, den Kuss, der alles für sie veränderte. Was sie auch gerade noch gedacht hatte, es löste sich bei der Berührung seines Mundes in Einzelteile auf.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sich seine Lippen von ihren, aber er hielt sie fest in seinen Armen. Zögernd öffnete sie die Augen. Marc war immer noch da. Sie hatte das keineswegs geträumt. Sicherheitshalber probierte sie es ein weiteres Mal. Augen schließen, Augen auf. Er verschwand nicht. »Freunde?«, flüsterte sie rau.
Auf seinem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. »Kommst du nun mit oder nicht?«
»Okay – gib mir eine Sekunde.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so eine harte Nuss bist. Da muss man ziemlich schwere Geschütze auffahren.«
Beinahe geriet ihr Herz bei seinen Worten ins Stolpern. Was war sie für eine Närrin. Die Amis besaßen eine komische Auffassung von freundschaftlichen Küssen. Sie beschloss, dass es besser war, davon auszugehen, dass es diesen vermaledeiten Kuss nie gegeben hatte.
Kurzerhand bot sie Marc an, sich mindestens einmal täglich hinter das Steuer ihres alten Vehikels zu setzen und abzuwarten, was passierte. Vielleicht gewöhnte er sich ja wieder an den Fahrersitz und merkte, dass nichts Schlimmes passierte. Gerade näherten sie sich besagter Klapperkiste, als er auf den Aufkleber an ihrer Heckscheibe wies. Ich bremse auch für Einhörner.
»Ist der neu?«
»Hm. Süß nicht wahr,
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