Zitronentagetes
Schönheiten nicht standhalten konnte. So war es nun einmal, dachte sie bedrückt. Außerdem wollte sie gar keinen Mann. Sie war in niemanden verliebt. So schnell ging das eben nicht bei ihr. Zugegeben, bei Val war das damals anders gewesen, was sie aus heutiger Sicht auf die surreale Situation in der Nacht des Mauerfalls schob. Die Nachricht, dass die Grenze offen war, hatte sich am Vormittag an jenem Novembertag in der Berufsschule wie ein Lauffeuer verbreitet. Mit zwei ihrer Mitschülerinnen war sie am Abend nach Berlin gefahren. In einem Wartburg passierten sie die innerdeutsche Grenze und plötzlich waren sie in Westberlin. Dort fanden sie einen Parkplatz in der Nähe des SFB-Gebäudes und folgten der Menge, die sich in Richtung Kurfürstendamm schob. Gigantisch, Flo hatte geglaubt, zu träumen. In den Kneipen wurde Himbeerbowle ausgeschenkt und plötzlich stand sie einem GI gegenüber.
»Hallo Fräulein, you are happy ?«
»Yes.« Viel mehr war ihr nicht eingefallen, so überwältigt war sie von den Ereignissen. Sofort verliebte sie sich in den fröhlichen Amerikaner, eine Woche später waren sie verlobt. Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag heiratete Flo den Mann in Berlin, gegen den Willen ihrer Familie. Sie brach die Lehre ab, finanziell war sie jetzt versorgt, und zog zu ihm. Von da an war sie eine Enttäuschung für ihre Eltern. Als Val wenig später in die USA zurück musste, ging sie mit ihm. Es dauerte nicht lange und Kevin kam zur Welt, in Washington D. C., wo sie nie heimisch geworden war. Ihre Schwiegermutter Hannah hatte einiges damit zu tun. Nach ein paar Jahren merkte sie, dass Val nicht der Mann war, für den sie ihn gehalten hatte. Kevins auffälliges Sozialverhalten, bedingt durch sein ADHS-Syndrom tat sein Übriges, um ihre Ehe scheitern zu lassen. Val ließ keinen Zweifel daran, dass ihm das anstrengende Kind zu viele Nerven kostete und eines Tages sprach er es aus. So ein Leben wollte er nicht führen. Es war ihm peinlich, von Nachbarn oder Lehrern angesprochen zu werden, dass Kevin wieder dieses oder jenes angestellt hatte. Flo seufzte leise. Über ihren Ex-Mann war sie längst hinweg. Sie vermisste ihn nicht. Allerdings war sie bereits viel zu lange ohne Sex. Ausgerechnet in letzter Zeit zeigte ihr Körper deutliche Anzeichen von Entzugserscheinungen. Kein Wunder, lebte in diesem Haus doch ein echtes Prachtexemplar der männlichen Spezies. Dank der vielen Krankengymnastik hatte sich Marcs Körper wieder gut erholt. Er wirkte sportlich, war groß, hatte irritierend silbergraue Augen und herrlich windzerzauste dunkelblonde Locken. Obwohl man ihr beigebracht hatte, dass die äußeren Attribute nur eine untergeordnete Rolle spielen durften, freute sie sich immer wieder aufs Neue über seinen Anblick. Überdies war er hilfsbereit, nett – zumindest meistens, brachte sie zum Lachen, was sie sehr zu schätzen wusste. Hörte ihr zu, nahm sie ernst, hatte keine zwei linken Hände, was viele Vorteile hatte. Er küsste fantastisch, kraulte gekonnt bei Bedarf ihren Rücken und war – verfügbar. Außerdem schätzte sie in Sachen Sex seine Unkompliziertheit. Sie könnten ein nettes Nümmerchen schieben, ohne dass es hinterher einem von beiden leidtat. Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, weiter als bis zu einem Kuss zu gehen. Ein bisschen mehr Draufgängertum hätte sie schon von Marc Cumberland erwartet. Oder lag es daran, dass sie keine Sexgöttin war und äußerlich nicht viel hermachte? Sie musste unbedingt mit Bonny Sue oder Sally reden. Ihr Haar sollte wirklich dringend von einem Fachmann geschnitten werden. Irene hatte bestimmt einen Make-up-Tipp. Sie wollte sich aber auf keinen Fall zu viel Schminke ins Gesicht klatschen.
Das Telefon riss sie aus ihren Überlegungen. Irene erinnerte sie an die Herzblöcke. O Schreck, das hätte sie fast vergessen. Wie viele andere Patchworkgruppen des Landes nähte auch ihre einen Quilt aus Herzblöcken, der später versteigert und der Erlös den Opfern des 11. September gespendet werden sollte. Anschließend landeten die Quilts in Familien, deren Angehörige dem Anschlag zum Opfer gefallen waren. Gleich heute Abend würde sie sich an die Applikationen machen.
*
Marc seufzte. Wieso wollte Flo, die so offenherzig über Sex plauderte, nicht von ihm geküsst werden? Geschweige denn, dass jemand es mitbekam. Es traf ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Er hatte sich nicht in Flo verknallt. Lächerlich, sie waren Freunde.
Ob es ihr in dem
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