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Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Orlowski
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es nicht zu geben. George schluckte eine Tablette, die seinen Magen beruhigen sollte, und zog die Vorhänge zu. Wenn er wieder bei Kräften war, würde er nach Baltimore fahren. In einer Großstadt konnte man besser unerkannt agieren.
     
    *
     
    Marc saß auf dem Hocker unter der Dusche, der heiße Wasserstrahl prasselte auf seinen Rücken. Er ärgerte sich noch immer über Kevin, diese kleine Kröte. Es half wenig, dass er sich daran erinnerte, wie rücksichtslos er selbst im Teenageralter Megan provoziert hatte. Warum musste immer alles so kompliziert sein? Irgendwie verstand er den Jungen ja. Aber die wachsende Ablehnung, die er in den Kinderaugen las, fühlte sich trotzdem schlecht an. Marc drehte den Hahn ab, griff sich das Handtuch und balancierte vorsichtig zum Hocker, an dem die Prothese lehnte. Vielleicht sollte er zur Abwechslung Flos Ratschlag berücksichtigen und auch all die guten Dinge in seinem Umfeld wahrnehmen. Seine Verdauungsprobleme hatten sich gelegt, der Phantomschmerz war merklich abgeebbt, wie ihm erst jetzt bewusst wurde, und er konnte wieder arbeiten gehen. Alles in allem war das gar nicht schlecht. Dennoch blieb ein Teil seines Gehirns in Unruhe. Er hatte Angst vor dem Prozess. Das war normal. Aber es lag noch eine andere Bedrohung in der Luft. Nichts Greifbares, nichts Konkretes, nichts, was sich rationell erklären ließ: Dennoch … gern würde er jetzt etwas joggen, um seinen Kopf freizubekommen. Noch ging das allerdings nicht. Aber laufen tat es notfalls auch. Er schlüpfte in Jeans und ein Sweatshirt.
    Es klopfte, und Flo schlüpfte herein. Wie immer hatte sie seine Antwort gar nicht erst abgewartet. »Lust auf ein Gläschen Wein? Ich dachte mir, ich lasse die Jungs oben ungestört bei ihrem Computerspiel. Patrick hat etwas mitgebracht. Die Grafik ist toll und jetzt bauen sie mittelalterliche Siedlungen.«
    Marc sah sie abwartend an.
    Sie seufzte leise. »Willst du noch weg?«
    »Ich muss ein Stück laufen.«
    »Du, hör mal – es war nicht in Ordnung von mir. Ich weiß, ich reagiere empfindlich, wenn es um Kevin und seine Erziehung und so geht. Aber du musst mir glauben, ich wollte nicht so schroff zu dir sein. Ich habe auch schon mit ihm darüber gesprochen. Er sieht es ja ein. Es fällt ihm nur schwer, zu akzeptieren, dass … Na eben alles …«
    Konnte die Frau sich nicht kurzfassen? So viel hatte er bereits gelernt: Sie war quasselig, wenn sie unsicher war. Na schön, dann waren sie ja schon zwei. »Okay. Entschuldigung akzeptiert. Wollen wir gehen?«
    »Wohin?«
    »Ziellos spazieren.«
    »Klingt gut. Und der Wein?«
    »Später. Stell ihn in den Kühlschrank.«
    Der Spaziergang hatte die gewünschte Wirkung. »Schau mal.« Ein Auto schoss durch die engen Straßen. »Die Karre wirkt richtig bösartig«, sagte Floriane.
    »Autos sind doch nicht bösartig.«
    »O doch. An den Formen der Karosse oder dem Gesicht«, sie krümmte Zeige- und Mittelfinger beider Hände zu Anführungszeichen, »kann man den Charakter ablesen. Ein Peugeot oder der Renault Clio wirken putzig, gutmütig, lieb. Ein BMW wie deiner wirkt charmant, Ferrari ist ein Aufreißer, der Twingo hat zwinkernde Kulleraugen, der Volvo ist ein strenger Großvater, ein Hummer hingegen ist aggressiv und Furcht einflößend.«
    »Solchen Unsinn habe ich ja noch nie gehört.«
    »Klar, Männer sind viel zu abgeklärt.«
    »Das wird’s wohl sein.«
    Sie waren zwei Stunden unterwegs. Gegen Ende kam ein heftiger Wind auf und blies ihnen tüchtig um die Ohren. Wieder zu Hause stapfte Flo in die Küche. »Ich mache uns noch einen leckeren Salatteller, passt prima zum Wein. Würdest du eine rote Zwiebel klein schneiden?«
    »Wenn’s sein muss.«
    »Du bist lieb.«
    »Spar dir den Schmus.«
    Flo kicherte. Sie nahm einen Apfel aus dem Obstkorb, schnitt ihn in Spalten und häufte Zucker in eine Pfanne. Sie karamellisierte den Zucker und schüttete die Äpfel dazu. Es zischte und roch angenehm. In einem Krug rührte sie Wasser, Olivenöl, Pfeffer und Pflaumenmus zu einem Dressing zusammen. »Wenn du kurz die Pinienkerne anröstest, schicke ich die Jungen ins Bett«, sagte sie und lief die Treppe nach oben.
     
    *
     
    »Kevin, Patrick, marsch, marsch ins Bett. Macht den Computer aus. Ihr könnt ja noch erzählen, da fällt euch bestimmt etwas ein. Aber das Licht wird gelöscht. Zähneputzen nicht vergessen.«
    »Mann, Mutti.«
    Flo gab ihrem Sohn einen Gutenacht-Kuss. Als sie sein Gesicht musterte, las sie dort: Wie peinlich ist

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