Zitronentagetes
damals kopiert und überlassen. Immerhin betrafen sie im Grunde ihn selbst, so erübrigte sich ein Gedanke an Datenschutz. Außerdem wollte Masterson sich die Sache durch den Kopf gehen lassen, hatte also nicht sofort abgelehnt, für ihn tätig zu werden. Doch George war nervös. Die Zeit arbeitete gegen ihn. Für diese reine Vermutung bekam er direkt eine Bestätigung. Sein Telefon läutete, noch während er systematisch die Akte durchging. Er hob ab.
»Ich komme gleich zur Sache und erinnere Sie an eine offene Rechnung.«
»Was soll das Ganze?«, blaffte er. »Sie scheinen vergessen zu haben, dass ich Ihretwegen in den Knast gewandert bin. Ich habe bezahlt, mehr als mir lieb war.«
»Ich wusste, Ihnen ist klar, worauf ich hinauswill. Aber nicht doch. Die Sache war allein Ihre Idee. Sie haben mich bezahlt, ich habe wunschgemäß geliefert. Allerdings ist die letzte Rechnung noch offen. Aber ich wiederhole mich.«
»Wenn Sie diesen Jungen nicht kaltblütig erstochen hätten, wäre nichts herausgekommen.«
»Irrtum. Der Bursche starb nicht an dem Messerstich. Die Sache flog auf, weil Sie sich bei Ihrem Sohn meldeten und zugaben, hinter der Sabotage zu stecken. Oder etwa nicht?«
Woher wusste der Typ all das so konkret? Womöglich war er sogar beim Prozess anwesend gewesen, als der Fall von Anfang bis Ende aufgerollt worden war. Zumindest rekonstruierten der Richter, der Staatsanwalt und die Jury als Tathergang, was sie für die Wahrheit hielten. George war in jedem Falle schuldig, also beließ er sie bei ihrer Meinung und bewies Anstand. Je reuiger er sich von Anfang an zeigte, desto besser, hatte er damals gedacht. Seine Bemühungen hatten sich gelohnt, er war wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden. Die Gefahr eines Rückfalls war mit null beziffert worden und nun musste er es zu Ende bringen.
»Ich sag Ihnen was, ich habe lange genug warten müssen. Sie zahlen mir die Summe innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden und wir vergessen das Ganze. Selbstverständlich muss ich Ihnen für die Jahre im Knast Zinsen berechnen – marktübliche.«
»Ich höre wohl nicht recht. Es ist eine Unverschämtheit, dass Sie auch nur in Erwägung ziehen …«
»Halten Sie den Mund, Cumberland. Notieren Sie sich meine Angaben. Ich sage sie Ihnen genau ein einziges Mal. Summe, Postschließfach und alles Weitere. Sollten Sie einen Fehler begehen, kommt Sie das teuer zu stehen.«
»Sie machen mir keine Angst. Ich habe mein Leben gelebt.« George vernahm ein Lachen, das ihn schaudern ließ. Nie zuvor hatte er ein kälteres gehört.
»Wer redet denn von Ihnen?«, hob der Unbekannte an. »Ich denke da an Ihren Sohn. Der Ärmste hat bereits genug durchgemacht. Sie sollten ihm weitere Unannehmlichkeiten ersparen wollen. Und dann gibt es ja auch noch das süße, kleine Töchterlein.« Wieder lachte der Kerl und beendete das Gespräch.
*
Marc jagte über den Beltway und versuchte, seinen Vater zu erreichen. Entweder hatte George sein Telefon ausgeschaltet oder es war besetzt. Er stieß einen Fluch aus und warf sein Handy auf den Beifahrersitz. Zum Glück befand er sich ohnehin auf halbem Weg nach Baltimore und konnte, wenn alles gut ging, in einer Stunde dort sein. Er zwang sich zur Konzentration, denn vor einem weiteren Unfall grauste ihm. Außerdem war es nicht von Vorteil, die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu lenken. So lag er nur ganz knapp über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, fluchte jedoch ständig vor sich hin. Was war mit Rosie passiert? Bei dem Gedanken, dass seiner kleinen Schwester etwas zugestoßen war, hämmerte sein Herz.
Kurz hinter dem Ortsschild fuhr er rechts ran. Er hatte Jennys Nummer nicht eingespeichert, also suchte er sie unter den eingegangenen Anrufen. »Ich bin’s, Marc. Bist du zu Hause?«
»Nein … ich …«
»Ganz ruhig. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Wo finde ich dich?«
»Im Einkaufscenter, vom Beltway aus gleich das Erste, im Büro des Hausdetektivs.«
Ihm sank das Herz. Demnach war Rosie noch immer verschwunden. Entführt? Von irgendeinem Perversen? Wollte jemand Lösegeld? Letzteres war immer noch besser, als wenn so ein Kinderschänderschwein sie in seinen Fängen hatte. Das Grauen packte ihn.
Marc hastete in den Gebäudekomplex und merkte, dass er wieder stark hinkte. Er war zu aufgeregt, um auf seinen Gang zu achten. Er fragte sich zum Büro durch. Dort wollte man ihn erst nicht hineinlassen. »Ich bin Marc Cumberland.«
»Dann
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