Zitronentagetes
über die Narkose reden wollte. Mittlerweile brodelte es in seinem Bauch. Amputation – der Gedanke hatte es schwer, sich in seinem Kopf auszubreiten. Was er in seinem Magen spürte, war keine Angst – es war lähmendes Entsetzen.
»Bist du wach?«
Gehörte die flüsternde Stimme zu Amy?
Er schlug die Augen auf. »Oh, so hoher Besuch.« Seine Stimme spuckte Wut und Verzweiflung in den Raum.
»Es tut mir leid, was passiert ist«, sagte sie leise.
Sein Lachen klang nicht fröhlich.
»Ich muss mit dir reden.« Amy verschränkte ihre Finger ineinander, da sie offenbar nicht wusste, was sie sonst mit ihnen anstellen sollte. »Es ist nicht leicht, den richtigen Anfang zu finden. Vieles hat sich geändert, zwischen uns, meine ich.«
Sein Blick schwebte im Nirgendwo. Er wusste plötzlich, was sie ihm sagen wollte, und starrte so angestrengt aus dem Fenster, als gäbe es dort mehr zu sehen als pechschwarze Dunkelheit.
»Wir haben es wirklich versucht. Eine Liebe, die allem widersteht, was das Leben ihr entgegensetzt. Das klingt sehr schön, nicht wahr? Doch es hat nicht funktioniert.«
»Du hast recht. Im Apartment …«
»Ja?«
»Nimm dir, was du möchtest.«
»Danke.«
»Gibt es jemand anderen?«
Ihr Schweigen war Antwort genug. So fühlte es sich also an, wenn man am Ende des Schweigens angelangt war. Und es war nicht plötzlich gekommen, sondern ganz allmählich. Ihren Weg zueinander fanden sie nicht mehr.
»Entschuldige, du musst es mir nicht sagen.«
»Ja.«
Marc nickte kurz. »Verstehe.«
»Es ist …«
»Fährst du heute noch zurück?«
Amy nickte.
»Fahr vorsichtig.«
Sie sah ihm in die Augen. »Es tut mir wirklich leid.«
»Du hast alles richtig gemacht. Es war schön mit dir.«
»Danke, dass du das sagst. Was ist mit dem Schlüssel?«
»Das eilt nicht.«
»Wann denkst du, kannst du wieder nach Hause?«
Sein Magen sackte plötzlich ins Bodenlose. »Sie wollen mir mein Bein abnehmen.« Die Worte waren heraus, ohne dass er es beabsichtigt hatte.
Schockiert starrte sie ihn an. »O Gott, nein.« Sie senkte den Kopf. »Ich wünschte, ich wäre heute nicht hergekommen.«
Sie kamen, um ihn zu holen, und er konnte nichts dagegen tun. Angst lief ihm wie Eiswasser über die Wirbelsäule.
»Hören Sie …«, hob er an. Und weiter? Was wollte er eigentlich sagen? Ein kerniges: »Sie verlassen jetzt auf der Stelle dieses Zimmer ?« Einfach lächerlich.
Er fror jämmerlich. Im OP entdeckte er Liz und Jefferson, der sich über irgendwelche Unterlagen beugte.
Die Frau seines besten Freundes drückte seine Hand. Dennoch konnte er den Gedanken nicht verdrängen, eine Verräterin an seiner Seite zu haben.
»Es tut mir sehr leid.«
Bitte, dachte er, bitte, tu das nicht. Etwas Warmes quoll aus seinen Augenwinkeln. Jeffersons Gesicht kam näher. Der Raum verschwamm vor seinen Augen.
*
Elizabeth spürte eine heftige Gegenwehr von Marc ausgehen. Obwohl er bereits fast in Narkose war, hörte sie ihn murmeln: »Bitte … nicht …«
»Elizabeth.« Sie spürte den Blick ihres Chefs und rief sich zur Ordnung. Noch nie war ihr dies so schwer gefallen.
Der Patient war ordnungsgemäß gelagert, der Anästhesist nickte zustimmend – es konnte losgehen. Wie immer bei ihren Operationen ging sie vorab die Schritte im Geiste durch. Schnittführung: fischmaulförmig mit der Basis etwa 3 cm distal der Knochenresektion, Durchtrennung tiefer Muskelbündel, Gefäße doppelt ligieren …
Sie fühlte sich seltsam beruhigt mit Jefferson an ihrer Seite. Nachdem der externe Fixator entfernt und der Knochen frei präpariert war, reichte ihr die Schwester die Säge.
Plötzlich fühlte sie sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Das ist die Schwangerschaft, versuchte sie sich einzureden. Und wusste doch in der nächsten Sekunde, dass es nicht stimmte. Nie hatte sie das Geräusch der oszillierenden Säge so sehr gehasst wie am heutigen Tag. Sie setzte die Säge an, um das Femur zu durchtrennen, aber ihre Hand begann zu zittern.
*
Flo hatte alle Geschenke verpackt. Das Päckchen und den langen Brief an ihre Eltern hatte sie bereits vor Tagen nach Deutschland abgeschickt. Im Brief befanden sich ein paar neue Aufnahmen von Kevin und ihr. Ihre Eltern wussten, dass sie umgezogen war, und so hatte Flo auch Fotos von ihrer neuen Wohnung geschossen. Val blieb unerwähnt – noch immer waren ihre Mutter und ihr Vater ahnungslos, was Flos Ehe betraf. Wenigstens an
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