Zitronentagetes
Ungeduld im Zaum zu halten.
»Ich habe die Ergebnisse aus dem Labor abgeholt. Außerdem habe ich bereits die Notizen der Nachtschwester geprüft. Ich lege nun sämtliche Informationen für Sie bereit, Dr. Tanner.«
»Entschuldigen Sie, Zimmerman.«
»Okay.«
Keine fünf Minuten später saß sie im Ärztezimmer und sah sich die Ergebnisse an. Fast zeitgleich gesellte sich Jefferson hinzu. Gemeinsam beugten sie sich über die immer größer werdende Krankenakte von Marc Cumberland. Lange sagte keiner ein Wort.
»Es gibt da ein neues Antibiotikum«, sagte Liz in das Schweigen hinein.
Als Jefferson ihr kurz eine Hand auf die Schulter legte, war klar, wie seine Entscheidung ausfiel. Und natürlich hatte er recht damit. Sie wusste es ja selbst. Aber bei Gott, es handelte sich um Marc …
Sie machte sich auf den Weg zu seinem Krankenzimmer und wünschte, dort nie anzukommen. Wurden ihre Schritte wirklich immer schleppender, je näher sie der Tür kam?
»Guten Morgen, wie geht es dir heute?« Elizabeth sah sofort, dass das Fieber wieder gestiegen war. Ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie umständlich vom Staphylococcus aureus zu reden. Weiter erklärte sie, dass, falls diese Bakterien Resistenzen gegen mehrere wichtige Antibiotika erwerben und somit multiresistent würden, schwer zu eliminieren wären. Sie wies auf die mangelnde Durchblutung in seinem rechten Bein hin.
»Du warst auch schon mal konkreter. Hast du etwas dagegen, mir zu erklären, was das Ganze soll?«
»Die Nekrose ist bereits sehr weit fortgeschritten und …«
»Könnten wir eventuell so tun, als hätte ich nicht Neurochirurgie studiert?« Er sah sie an, das Kinn gesenkt, die Verkörperung unendlich strapazierter Geduld.
Sie hielt nur kurz inne, räusperte sich und deutete an, dass multiresistente Keime schlimmstenfalls zum Tode führen konnten.
»Mich plagen so heftige Schmerzen, dass ich fast gewillt bin, mir einen raschen Tod zu wünschen. Aber eben nur fast. Daher verfolgen wir den Gedanken besser nicht weiter.« Es klang, als würde er sie abkanzeln. »Was sind meine Optionen?«
»Ich fürchte, es bleibt nur die Amputation.«
»Juhu – weißt du, was ich eben verstanden habe: Amputation.«
Wie ein Stein fiel das Wort in die darauf folgende Stille. Die Eindringlichkeit seines Blickes müsste ihr die Tränen in die Augen treiben, doch sie brannten nur vor Schmerz, blieben ansonsten trocken. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Jefferson will dich heute Abend operieren«, informierte sie ihn sachlich.
»Immerhin kann man dir nicht vorwerfen, dass du zu weich bist.«
Sie spürte, wie er mit den Tränen kämpfte, und ließ ihn allein. Wenn sie nur wüsste, was sie zum Trost sagen könnte. In ihrem Hals pochte ein abstruser Schmerz.
*
Amy setzte ihren einmal gefassten Entschluss in die Tat um. Sie hatte Blumen besorgt. An der Rezeption des Krankenhauses fragte sie nach und erfuhr, dass Marc noch immer auf der Intensivstation lag. Dort angekommen wollte man sie zunächst nicht zu ihm lassen. Glücklicherweise erwischte sie Elizabeth auf dem Gang.
»Ich muss ihn unbedingt sehen, bitte.«
»Das ist sehr gut, dass du da bist. Es ist wichtig, dass Marc heute Nachmittag nicht allein ist.«
Sie sah Liz verständnislos an.
»Meine nächste Operation steht gleich an. Ich schicke dir eine Krankenschwester, die dir beim Anlegen der Schutzkleidung behilflich sein wird. Stell die Blumen dort hinüber, die Schwester wird sie entsorgen.«
Scham brannte in Amys Gesicht. Natürlich! Wer stellte schon Blumen auf ein Nachtschränkchen auf der Intensivstation? Sie hatte nicht geahnt, dass es noch immer so schlecht um Marc stand.
Als sie an Marcs Bett trat, hielt er die Augen geschlossen.
Sie zog sich einen Stuhl heran. Sein Anblick erschreckte sie. Dennoch war sie bemüht, sich ihren Schock nicht anmerken zu lassen. Inzwischen war es draußen fast schon dunkel. Wie sie diese Jahreszeit verabscheute. Ihre restlichen Sachen aus dem Apartment zu räumen hatte mehr Zeit beansprucht, als sie eingeplant hatte. Sie wollte das Gespräch mit Marc rasch hinter sich bringen, aber ihn aufzuwecken war ihr momentan unmöglich. Was sollte sie tun? Vielleicht doch ein anderes Mal wiederkommen? Und überhaupt, was hatte Liz ihr sagen wollen? Es ist gut, wenn er heute Nachmittag nicht allein ist …
*
Marc spürte, dass jemand im Raum war. Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Erst vorhin war der Anästhesist da gewesen, der mit ihm
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