Zitronentagetes
Ampel war erst rot, schaltete dann aber auf Grün um und ich fuhr weiter, bis … bis …« Als er sich erinnerte, durchfuhr ihn der gleiche Schreck wie in der Unfallnacht. »Jemand betrat die Fahrbahn, tauchte plötzlich aus dem Nichts auf … Ich habe es zu spät gesehen … Es war dunkel … und … bremsen. Dachte ich und dann, nichts mehr. Auf einmal war Flo da und redete. Sie redet immer. Und Liz mit dem Rettungswagen – gut, dass Liz da war … sie, eh …«
»Hatten Sie auf der Feier etwas getrunken?«
»Nicht der Rede wert.«
»Wie viel?«
»Ein halbes Glas Sekt – aber das waren Stunden, bevor ich die Feier verließ.«
»Verstehe.«
»Ich war nicht betrunken. Das … eh …«
»Ja?«
Müssen Sie mir glauben – doch Marc sprach die Worte nicht aus. Es würde nur wie eine Lüge, wie eine billige Ausrede klingen. Wieso sollte er sich rechtfertigen? Immerhin war schließlich er das Unfallopfer. Oder nicht? Ein schrecklicher Verdacht, eine angstvolle Ahnung machte sich in seinem Herzen breit. Seine Gedanken zerfielen, wollten sich nicht mehr festhalten lassen. »Was ist mit …«
Bis der Sheriff ihm ruhig antwortete, hatte Marc nicht gewusst, dass er die Frage laut gestellt hatte.
»Die Frau kam bei dem Unfall ums Leben.«
Sie ist tot … tot … Ein Übelkeit erregendes Grauen breitete sich wie ein langsamer, schrecklicher Hunger in ihm aus. »Es tut mir leid.« Er schloss erschöpft die Augen. »Ich kann nicht …«
*
»Zimmerman«, wandte sich Dr. Tanner an Curtis. »Gehen Sie zu Marc Cumberland. Ich benötige drei Abstriche. Und halten Sie sich exakt an die besprochene Vorgehensweise.« Sie nickte ihm und den anderen Kollegen zu und verschwand im OP-Trakt.
Der Verdacht seiner Chefin hinsichtlich MRSA stimmte ihn nicht gerade zuversichtlich. Kein Wunder, dass Elizabeth Tanner, obwohl noch keine genauen Testergebnisse vorlagen, die Hygienekette rund um Cumberland kontrollierte. Jeder musste vor und nach dem Betreten seines Zimmers die Händedesinfektion äußerst gewissenhaft vornehmen sowie spezielle Schutzkleidung anlegen.
Obwohl er nun bereits einige Jahre im St. Elwine Hospital arbeitete, hatte er bei Elizabeth Tanner noch nie diesen bestürzten Gesichtsausdruck beobachtet. Sie war persönlich so sehr betroffen, dass er allen Ernstes begann, sich um sie zu sorgen. Lächerlich – sie war sicherlich imstande, sich selbst zu schützen.
Angetan mit Schutzkittel, Haube und Vinylhandschuhen machte sich Curtis daran, ihren Auftrag auszuführen.
»Was hat dieser lächerliche Aufzug zu bedeuten?«
»Wir haben neue Vorschriften, Marc.«
»Seit wann?«
Statt zu antworten, entnahm Curtis einem mitgebrachten Glasröhrchen einen sterilen Wattetupfer. Da der Patient ihm nun direkt in die Augen sah, blieb Curtis nichts anderes übrig, als ihm eine halbwegs glaubhafte Erklärung zu liefern. »Ihr Fieber ist nicht leicht in den Griff zu bekommen und wir müssen weitere Tests machen.« Noch während er erklärte, dass er drei Zellabstriche von verschiedenen Stellen benötigte, führte er den Wattetupfer in Marcs Nase ein, um Material aus dem Nasenvorhof zu gewinnen.
»Igitt.« Marc verzog das Gesicht.
»Das ist reine Routine.«
»Ich beneide Sie jedenfalls nicht um Ihren Job, Doc.«
Schon löste Curtis einen der Verbände am Bein. Marc zuckte zusammen. »Muss das sein? Bereits nach dem Verbandswechsel am Vormittag war ich schweißgebadet. Die Schmerzen bringen mich fast um, selbst wenn sich niemand an der Wunde zu schaffen macht.«
Oberhalb des Knies sahen die Wundränder entzündet aus. Curtis wischte mit dem zweiten Wattetupfer flüchtig darüber. Für Marc musste es sich anfühlen, als triebe jemand ein Messer in sein rohes Fleisch.
»Heilige Muttergottes.«
»Tut mir leid.«
»Das will ich auch hoffen.«
Als er den Verband erneuerte, klammerte sich Marc am Bettzeug fest. »Das Zimmer dreht sich um mich.« Er schloss für einige Sekunden die Augen.
Curtis ließ ihm etwas Zeit zum Verschnaufen. Er erklärte Marc, was er als Nächstes tun würde, aber er merkte, dass seinem Patienten die Konzentration fehlte. Marc hörte ihm nicht mehr zu. Besser, er beeilte sich.
Curtis schob Marcs gesundes, linkes Bein etwas zur Seite und fuhr mit einem dritten Wattetupfer an Marcs Anus herum.
Ein Blick in Marcs Gesicht genügte und er konnte dessen Empörung ablesen. »Was zum Geier tust du da?«
»Ist etwas unangenehm, ich weiß.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Okay, für
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