Zitronentagetes
großspurig mit verschiedenen Abenteuern angegeben. Nur Josh hatte Bescheid gewusst.
Marc war bereits neunzehn Jahre alt gewesen, bevor er zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Er war ihr auf dem Campus begegnet. Sie gingen ein paar Monate miteinander. Die Eskapaden seines Vaters stets vor Augen, war er einfach nicht für One-Night-Stands geschaffen. Er pflegte immer Beziehungen mit den Frauen, mit denen er schlief. Am längsten hatte die mit Amy gedauert, doch das war nun vorbei. Plötzlich kam er sich sehr verlassen vor.
Kurz, nachdem sich seine Mutter verabschiedet hatte, erschien Doc Ohne-Furcht-und-Tadel wieder auf der Bildfläche. Es ging heute zu wie in einem Taubenschlag. Von wegen im Krankenhaus ruhte man sich aus.
Myers hatte schriftlich drei Alternativen in Form eines Schemas ausgearbeitet. Er reichte Marc die Blätter und erwartete, dass er sie eingehend studierte. Für die ganz blöden Patienten schwarz auf weiß. Nur um den selbstgerechten Mediziner nicht ansehen zu müssen, ging er Zeile für Zeile durch. Marc wartete auf ein Anzeichen von Ungeduld bei seinem Gegenüber, doch der wollte ihm die Zeit geben, die er brauchte. Ganz gegen seinen Willen empfand Marc eine gewisse Hochachtung für Myers. »Die beste, aber teuerste Variante ist demnach die Reha-Behandlung in Ihrer Klinik in Aspen.«
Der Arzt nickte.
Die zweite Variante sah eine stationäre Behandlung in St. Elwine vor mit Physiotherapie nach Myers Vorgaben. Die dritte Möglichkeit war eine ambulante tägliche Behandlung bei Physiotherapeuten des Krankenhauses, ebenfalls mit Myers Übungsanweisungen. Er würde jeden Tag von zu Hause in die Klinik gebracht und wieder abgeholt werden müssen. Ideal für Patienten, die Kosten vermeiden mussten und das häusliche Umfeld brauchten.
»Ich schätze Sie so ein, dass Sie das Beste für sich beanspruchen möchten.«
Ich bin aber nicht wie du.
»Wir haben ein wirklich gutes Konzept entwickelt: Orthopädie, Chirurgie, Physio- und Psychotherapie sowie eine hervorragende Orthopädie-Werkstatt arbeiten Hand in Hand unter einem Dach zusammen.«
»Den Psychoquatsch können Sie sich bei mir sparen. Das ist rausgeschmissenes Geld.«
»Wir werden sehen.« Der Arzt machte eine vage Handbewegung. »Möchten Sie vielleicht alles erst mit Ihrer Verlobten besprechen?«
»Oh – äh, sie arbeitet tagsüber.« Er hatte sich gerade noch rechtzeitig bremsen können, um nicht »Mit wem?« zu fragen und kniff die Lippen aufeinander.
Hinter diesem Schachzug steckte doch Lizzy. Da war er sich plötzlich ziemlich sicher. Sie kannte seinen angeborenen Ehrgeiz, stets das Beste für sich herausholen zu wollen. Genau damit wollte sie ihn jetzt ködern.
Schon in der Highschool war sie ein kleines Biest gewesen. Jetzt kämpfte sie für ihn, weil sie ihn liebte – als Freund. Und das, obwohl er so gemein zu ihr gewesen war. Eine Welle von Zuneigung und Wärme für diese kleine, zierliche Frau durchfuhr ihn. Einmal mehr beneidete er Joshua.
Myers tat, als würde er das Wechselbad seiner widerstreitenden Gefühle nicht bemerken.
»Wie lange soll der ganze Spaß dauern?«, fragte Marc, als er sich endlich wieder in der Lage fühlte, zu sprechen.
»Wir sollten uns zeitlich nicht unter Druck setzen. Der Eine braucht länger als der andere. Richten Sie sich auf mehrere Wochen ein.«
»Ich werde für lange Zeit allein sein.«
»Nun, ich bin da«, scherzte der Arzt und sah zum ersten Mal wirklich jungenhaft aus.
Haha.
Plötzlich lag Myers Hand auf seiner Schulter. »Sind wir das im Grunde nicht immer?«
Während Marc noch über diese Frage nachgegrübelt hatte, musste er eingedöst sein. Er schreckte auf, als er spürte, dass jemand näher trat. Für einen Augenblick wähnte er sich orientierungslos und blinzelte. Dann richteten sich zwei Augenpaare auf ihn, in denen so viel Schmerz und Kummer standen, dass sich sein Magen verknotete. Plötzlich zerbarsten alle Hoffnungsschimmer, je wieder ein normales Leben zu führen. Schuld stach tief wie ein Dolchstoß in sein Innerstes. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, bemächtigte sich seiner.
»Ich hoffe, wir haben Sie nicht erschreckt.« Der Mann klang nicht unfreundlich. Die unendliche Traurigkeit in den Augen des kleinen Mädchens war mehr, als Marc ertragen konnte.
Nimm sie weg. Nimm in Gottes Namen das Kind weg.
6. Kapitel
T yler saß in seinem Tonstudio und ging noch einmal alle Musikstücke, die er für das Rockmärchen »Shadows«
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