Zitronentagetes
Wochen auf alle Fälle und keine Sekunde hatte er über Sex nachgedacht. Warum also jetzt? Um der Wahrheit die Ehre zu reichen, er dachte nicht auf seine übliche Weise über Sex nach. Nicht so, dass er sich irgendwelche Fantasien mit kurvenreichen Frauen in heiße Spielchen verwickelt vorstellte, sondern lediglich mit dem gesunden Bedürfnis nach sexueller Betätigung als solches. So, wie man atmete, aß, trank, schlief und eben Sex hatte – oder auch nicht. Auf Letzteres konnte man tatsächlich auf unbegrenzte Zeit verzichten.
Was hatte er als Teenager nicht alles an Pornofilmen konsumiert. Er war regelrecht süchtig danach gewesen. Wahrscheinlich, weil dieses Thema für seine Mutter tabu war und seinen Vater wollte er nicht danach fragen. Es gab heiße Streifen über junge Lolitas, erfahrene Hausfrauen und Omas, Lesben, Schwule, Gruppenspielchen, SM und sogar was mit Tieren. Letztere hatte er sich nie angesehen. Wovon er allerdings niemals etwas mitbekommen hatte, war Sex mit Menschen, die … eine Behinderung hatten. Hieß das etwa, dass … die keinen Sex hatten? Was für ein schrecklicher Gedanke. Wo er doch ein leidenschaftlicher Mann war, zumindest bis dato … Würde er in Zukunft hin und wieder ein Betthäschen per Telefon ordern? Ihr ein paar Dollar aufs Kopfkissen legen und sie dann machen lassen? Marc hatte es noch nie mit einer Professionellen getrieben. Auch wenn er als Jugendlicher gern so getan hatte. Er schauderte kurz.
»Ist Ihnen kalt? Husch – den frischen Patientenkittel übergezogen und dann legen Sie sich hin, bis es Frühstück gibt.«
Sie betonte das Wort Frühstück, als mache sie Werbung für das Buffet des Ritz . Er fühlte sich sofort provoziert, obwohl er wusste, dass die Schwester nur versuchte, freundlich zu sein. Sie band den Kittel hinten zu und bugsierte ihn ins Bett zurück.
Später besuchte ihn seine Mutter und schloss ihn selig lächelnd in die Arme. Mütter waren ein Phänomen an sich. Sie verziehen ihren Kindern alles. Er erinnerte sich noch gut daran, was er als Heranwachsender getrieben hatte, nur um sie aus der Fassung zu bringen. Heute tat es ihm leid. Woher war der starke Drang zu rebellieren nur gekommen? Okay, fast alle stach in der Pubertät der Hafer. Aber bei ihm war die Aufmüpfigkeit ziemlich ausgeprägt gewesen. Gott, was hatte seine arme, hübsche Mutter ertragen müssen. Hübsch war sie noch immer, überlegte Marc, als er sie genauer betrachtete.
»Meine Güte, Junge, bist du blass. Morgen bringe ich dir roten Früchtetrank mit Eisen. Der soll sehr gut sein, meint auch der Reverend. Ich soll dich übrigens herzlich von ihm grüßen.«
»Danke.«
»Hattest du schon Zeit gehabt, um nachzudenken?«
Oh, Zeit hatte er hier im Überfluss. Was sie tatsächlich meinte, war, ob er nach der Rehabilitation zu ihr ziehen würde. Immer diese Andeutungen – wie er das hasste. Warum konnte sie die Dinge nie beim Namen nennen? Stets lag etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen. Er wusste, es würde nicht funktionieren, wenn sie unter einem Dach wohnten. Und sich ein amouröses Abenteuer in seinem Zimmer mit einer kleinen Nutte zu gönnen, das konnte er dann gleich vergessen. Ironie und Selbstmitleid hielten sich die Waage, zog er eine solche Zukunft in Betracht. Es war gewissermaßen zum Heulen.
Plötzlich erinnerte er sich, wie seine Mutter die Pornos unter seinem Bett entdeckt hatte. Sie hatte ein Mordsspektakel gemacht, seinen Vater am Telefon mit Vorwürfen überschüttet. Ihm war nichts Besseres eingefallen, als zu behaupten, der Karton gehöre Joshua, der ihn hier nur vergessen hatte. Natürlich hatte seine Mutter daraufhin Olivia Tanner angerufen und von den sündigen Dingen berichtet, mit denen ihr Sprössling den ihren verdarb. Mrs. Tanner hatte wesentlich gelassener reagiert, und sie kannte ihren Sohn recht gut. Daher vertraute sie ihm auch. Etwas, was seine Mutter nie getan hatte.
Alles, was auch nur entfernt mit Sex zu tun hatte, war für Megan Cumberland abstoßend und eklig. Das lag wohl daran, dass sich sein alter Herr durch die Stadt gehurt hatte. Er selbst war verdammt neugierig darauf gewesen, das andere Geschlecht endlich genauer unter die Lupe nehmen zu können, aber die Angst vor der Entdeckung, vielleicht so zu sein wie sein Vater, hatte ihn daran gehindert, dem erstbesten Mädchen nachzusteigen. Er wusste noch genau, wie neidisch er auf Josh gewesen war, als der es mit der erfahrenen Carolyne aufgenommen hatte. Vor der Clique hatte Marc
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