Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Orlowski
Vom Netzwerk:
einem Dach leben. Eigentlich wollte er auch Flos Vorschlag sofort wieder verwerfen, aber wenn er es sich recht überlegte, war der gar nicht so schlecht. Er hätte eine eigene Wohnung, dennoch war immer jemand im Haus und er bekäme Hilfe oder Unterhaltung. Je nachdem, was er gerade benötigte. Die Wohnung war natürlich nicht nach seinem Geschmack eingerichtet, aber das war das Apartment auch nicht gewesen. Amy hatte damit, ihren Vorstellungen entsprechend, eine Innenarchitektin beauftragt. Schlussendlich rief er bei Charlotte an und schilderte seine Lage. Es war ihr hoch anzurechnen, dass sie nur kurz zögerte, bevor sie ihm ihre Zusage gab. Er verstand ja, dass die Räume ihres Großvaters für sie eine Art Heiligtum darstellten. Schließlich drückte er doch zu, und der altbekannte Türgong ertönte. Da es nicht weit war und er das Laufen weiter üben musste, war er zu Fuß gegangen. Doch es strengte ihn mehr an, als er gedacht hatte.
    »Junge!« Megan erschien in der Haustür. Sie sah schrecklich aus. Ihr Haar hing strähnig hinunter, das Gesicht bleich und spitz, und um ihre Augen lagen dunkle Ringe. Sofort presste sie eine Hand auf ihren Bauch. »Mein Magen, mein altes Leiden. Ich glaube, ich habe wieder Geschwüre.«
    O bitte, verschone mich. Er kannte das alles zur Genüge. Migräne, Magenkrämpfe, Rückenschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Herzstiche, Kreislaufkollaps. Irgendein Wehwehchen hatte seine Mutter immer parat, wenn sie etwas durchsetzen wollte. Oder im Anschluss, wenn sie es nicht bekam.
    »Ich brauche ein paar Sachen«, sagte er, bemüht, nicht auf ihr Wehklagen einzugehen.
    »Willst du es dir nicht noch mal überlegen?« Sie winkte ihn herein.
    Auf keinen Fall.
    »Im Moment geht es mir nicht besonders gut. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen …«
    Sie wollte ihn manipulieren mit ihren ausgesponnenen Krankheiten. Obwohl sie tatsächlich scheußlich aussah. Sein Blick huschte über ihr Gesicht, und schon begann er wieder zu zweifeln. Verdammt, verdammt. Es juckte ihn, ihr etwas Gemeines an den Kopf zu werfen.
    »Dad hat mir angeboten, bei ihm einzuziehen.«
    Wie erwartet keuchte sie auf. Wieder presste sie ihre Hand auf den Bauch und rannte plötzlich ins Badezimmer. Er hörte, wie sie sich übergab. Diese Spielchen mussten ein für alle Mal ein Ende finden.
    »Ich habe abgelehnt«, rief er.
    Ihrem Würgereflex schien diese Aussage zu gefallen. Er beruhigte sich sofort. So viel dazu.
    Als sie wieder erschien, schnäuzte sie sich die Nase und sah zu ihm auf. Erst jetzt registrierte sie, dass er aufrecht vor ihr stand – ohne Gehhilfen. »Du siehst aus wie früher, wenn der bittere Zug um deinen Mund nicht wäre. Aber sonst …« Hastig wischte sie ihre Tränen fort. »O Marc«, flüsterte sie und umarmte ihn. »Dich so zu sehen, nach allem was du durchgemacht hast …« Es schnürte ihr die Kehle zu. »Was brauchst du denn alles? Ich suche es dir zusammen, dann musst du nicht die Treppe hoch.« Sie wies in Richtung seines alten Zimmers.
    »Lass uns gemeinsam die Sachen einpacken, bitte«, meinte er versöhnlich.
    »Natürlich.«
    »Du kannst unmöglich mit diesen beiden Taschen laufen, das weißt du hoffentlich.«
    Ihm war klar, dass seine Mutter recht hatte.
    »Ich könnte dich zurückfahren, wenn du mir deine Adresse mitteilst.«
    Misstrauisch sah er auf. Sie musterte ihn eingehend. Ihr Argwohn war offenbar geweckt.
    »Du wohnst bei einer Frau.«
    »Was soll das, Mom?«
    »Genau wie George«, quengelte sie. »Was ist es, was euch Männer immer nur an Sex denken lässt?«
    »Das stimmt nicht. Ich hatte keinen Sex mehr, seit …«
    Hastig hielt sich Megan die Ohren zu. »Ich will nichts davon hören. Nicht eine Silbe«, rief sie mit schriller Stimme.
    Marc war bestürzt über ihren Ausbruch.
    »Ihr seid euch unglaublich ähnlich«, sagte sie mehr zu sich und schüttelte den Kopf.
    Er klappte den Mund auf, um etwas Deftiges zu erwidern. Da er wusste, dass es sinnlos war, klappte er ihn wieder zu. Er könnte nackt durch seine neue Wohnung, oder gar durch das ganze Haus laufen, Flo wäre immun dagegen. Aber davon hatte seine Mutter keinen blassen Schimmer. Obwohl es ihr in ihrem großen Haus genauso ging. Sie würde nie nackt durch die Räume schlendern – auch wenn sie allein war. Die Vorstellung weckte in ihm den Drang, zu lachen. Dann jedoch begriff er, dass er seine Mutter noch niemals nackt gesehen hatte. Wieso war er nicht schon früher über diese Tatsache gestolpert? Dad hatte keinen

Weitere Kostenlose Bücher