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Zivilcourage - Keine Frage

Titel: Zivilcourage - Keine Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Wagner , Constanze Loeffler
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dem man als junge Frau mit tiefem Ausschnitt auftaucht. Den Angeklagten wird im Gerichtssaal schnell klar, dass das keine Kasperle-Veranstaltung ist, sondern dass es nach den Regeln der Strafprozessordnung geht.
    Viele der Verfahren vor dem Jugendstrafgericht werden eingestellt. Eine Aufforderung für die Jugendlichen, einfach weiterzumachen?
    Ich stelle fast jedes zweite Strafverfahren ein. Die Einstellung ist der gesetzliche Normalfall. Es gibt aber immer eine Sanktion. Bei der Begründung der Maßnahme finde ich sehr drastische Worte. Wenn der Täter nicht weiß, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben und was ich ihm damals gesagt habe – ich weiß es auf jeden Fall. Das Signal heißt: Ich nehme dich und deine Tat ernst. Ich kenne meine Pappenheimer. Ich weiß, wer sich hinter welchem Spitznamen verbirgt; ich weiß, wer mit wem auf dem Spielplatz hockt und Drogen bunkert. Solange einer auf St. Pauli lebt, bin ich für ihn zuständig. Und wenn er nach einem Jahr wiederkommt, sitze ich immer noch da, und es gibt eine härtere Sanktion.
    Gehen Sie denn auch raus auf die Straße?
    Ich tauche hin und wieder im Stadtteil auf. Laufe einfach umher oder gehe dahin, wo sich die Jugendlichen treffen: Beim Park Fiction, beim Hans-Albers-Platz oder auf dem Hein-Köllisch-Platz. Neulich war ich in einem Lokal auf der Reeperbahn, um einen Verurteilten zu besuchen, der dort arbeitet. Es spricht sich rum, dass da jemand präsent ist, der die Verhältnisse kennt. Dem man schmalzige Geschichten erzählen kann, von denen man fettige Haare bekommt.
    Wenn die Jugendlichen bei Ihnen landen, ist es meist schon zu spät.
    Also, bei den Intensivtätern ist es manchmal zu spät, aber nicht immer. Nehmen wir mal an, da ist einer, der zu Hause geschlagen wurde, der in Schulen ging, die froh waren, wenn sie ihn wieder los waren, der Jugendeinrichtungen besucht hat, die nicht mit ihm klarkamen. Wenn ich solch einen Jugendlichen intensiv begleite, ihm klare Regeln vorgebe und genug Personal habe, um ihn zu betreuen, hat er gute Chancen. Wenn ich aus diesem Gewalttäter im Laufe der Zeit einen Dieb, aus dem Dieb nur noch einen Graffiti-Sprayer und aus dem Sprayer schließlich nur noch einen Schwarzfahrer machen kann, dann ist das ein Erfolg.
    In der Kriminalitätsstatistik fallen vor allem männliche Migranten als Gewalttäter auf. Sind das auch Ihre Hauptklienten?
    Ich schätze, dass drei Viertel der Gewalttäter Migranten sind. Sie haben vorher fast immer selbst unter Gewalt gelitten, meist in der eigenen Familie. Sie kennen also keinen anderen Mechanismus, als auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren. Hier müssen wir ansetzen: Verhindern, dass Kinder und Jugendliche Gewalt erleben, vernachlässigt werden, lieblos aufwachsen. Noch haben wir vor allem männliche Täter, die Mädchen holen aber auf.
    Hauen die auch einfach drauf?
    Nein, die Gewalt junger Frauen ist subtiler; sie erniedrigen und quälen mehr. Sie spucken in einen Mülleimer und lassen ein anderes Mädel die Rotze auslecken. Sie nehmen einen Siegelring und ritzen » fuck me « auf den Bauch ihres Opfers. Sie lassen ein Mädchen an der Bushaltestelle niederknien und immer wieder sagen, von wem sie denn alles gefickt wurde. Hier habe ich einen Fall liegen, bei dem ein Mädchen verdächtigt wird, ein anderes zur Prostitution gezwungen zu haben.
    Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was sollte sich im Jugendstrafrecht ändern?
    Ich wünsche mir mehr geschlossene Einrichtungen, in denen mit den Jugendlichen gearbeitet werden kann. Und zwar von vornherein, nicht erst unter Haftandrohung. Die müssen aus ihrem Wohnumfeld, ihrem kriminellen Umfeld raus. Die Bande müssen gekappt werden, damit sie überhaupt eine Chance haben, zu sich zu kommen. Und ich wünsche mir Mentoren, erfahrene Menschen mit Augenmaß. Gerade wenn es darum geht, Straftäter mit Migrationshintergrund zu betreuen, brauchen wir mehr Leute, die auch die kulturellen und religiösen Besonderheiten des Täters kennen.

7 Aufmerksam von Anfang an
    » Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft,
den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten.
Wir brauchen die Zivilcourage, Nein zu sagen. «
    Fritz Bauer
    7.1 | Das starke Ich
    Auf dem Schulhof einer Grundschule in Berlin Moabit herrscht Riesentrubel. Feueralarm, rund 360 Kinder freuen sich über die unverhoffte Pause. Bis auf die Kinder der 3 a: Sie wollen lieber mit » Faustlos « weitermachen. Um Wut ging es dabei und was man tut, wenn ein anderes Kind den Platz

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