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Zivilcourage - Keine Frage

Titel: Zivilcourage - Keine Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Wagner , Constanze Loeffler
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berichtet von einem leichten Rückgang der Jugendgewalt. Macht Ihnen das Hoffnung?
    Von einem Rückgang merke ich hier nichts. Die Aktenstapel werden weder weniger noch sind die Akten dünner. Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ist eher gestiegen. Die Hemmschwelle der Täter sinkt; sie sind ihren Opfern gegenüber immer gleichgültiger. Aus einem nichtigen Anlass heraus überschreiten sie Grenzen, die vor zehn Jahren noch geachtet wurden. Wer damals am Boden lag, der hatte verloren, das reichte aus. Heute wird nachgetreten, bis der andere kaum noch ein Lebenszeichen von sich gibt.
    Viele haben ein Messer dabei.
    Ja, und wenn man sie darauf anspricht, heißt es, sonst fühle ich mich nicht sicher. Damit sind wir mittendrin in der Gewaltspirale. Ich fühle mich nicht sicher, also habe ich ein Messer dabei. Erlebe ich eine kritische Situation, dann fühle ich mich noch unsicherer. Aber ich gehe nicht aus der Situation raus und haue ab, sondern zücke lieber das Messer. Und bevor der andere auf mich losgeht, steche ich schon mal zu.
    Öffentlichkeit und Politik fordern härtere Strafen für diese Täter.
    Wozu? Das Jugendgerichtsgesetz reicht völlig aus. Ich kann Täter bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilen. Wer Höchststrafe bis zu 15 Jahren, den Warnschussarrest und die Verurteilung von Zwölfjährigen fordert, der hat den Sinn des Gesetzes für jugendliche Straftäter nicht verstanden: Wir sollen und wollen erziehen und nicht nur einsperren. Glauben Sie wirklich, dass fünf Jahre mehr Knast einen besseren Menschen aus einem Täter machen? Ein höheres Strafmaß schreckt die Leute doch nicht davon ab, zuzuschlagen oder zuzustechen. Kein Täter überlegt vorher: » Wenn ich ein bisschen weniger zuhaue, werde ich auch weniger bestraft.« Der überlegt sich höchstens, wie groß das Risiko ist erwischt zu werden.
    Was machen Sie mit so einem Gewalttäter?
    Zuerst einmal schaue ich mir ihn und seine Situation genauer an: Ist das seine erste Tat oder ist er Wiederholungstäter? Aus welchen familiären Verhältnissen kommt er? Geht er regelmäßig zur Schule? Oft haben die Täter, die bei mir landen, schon eine kriminelle Karriere hinter sich: Raub, Diebstahl und Überfälle als 10 -, 12 -Jährige. Die Delikte steigern sich mit der Zeit. Sind sie 14 , kann ich reagieren: Verhandlung, Konfrontation mit dem Opfer, ein Antiaggressionstraining oder Arbeitsstunden. Machen sie nicht mit, gehen sie in den Arrest.
    Und was, wenn einer sagt, okay, dann gehe ich eben für die zwei Wochen in den Arrest? Stören sich die Täter überhaupt an ihren Strafen?
    Es gibt einige, denen das egal ist. Die bringe ich dann auswärtig unter. Sie dürfen ihren Kiez und die angrenzenden Stadtteile dann für ein paar Monate nicht mehr betreten. Hauen sie dort ab, droht ihnen Untersuchungshaft. Ich gebe ihnen oft eine weitere Chance, eine Bewährungsstrafe mit Auflagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Verstoßen sie auch dagegen, gehen sie in Strafhaft. Das sind dann aber keine zwei, drei oder vier Wochen, sondern mindestens sechs Monate. Dann sieht die Welt schon anders aus.
    Womit können Sie denn die Täter erreichen?
    In der Regel mit einer klaren Ansprache. Und mit Konsequenzen im Hinblick auf ihr Handeln. Das geht damit los, dass sich im Sitzungssaal Täter und Opfer begegnen. Wenn der Angeklagte hört, wie das Opfer unter seiner Tat leidet, wie derjenige, der bisher ausgezeichnet Fußball gespielt hat, jetzt aufgrund seiner zertrümmerten Hüfte nicht mehr spielen kann und sich dadurch sein ganzes Leben verändert hat, dann ist das häufig sehr nachhaltig.
    Das nutzt dem Opfer eher wenig.
    Ich verpflichte den Angeklagten dazu, an das Opfer Zahlungen zu leisten, und zwar über einen längeren Zeitraum, so dass er jeden Monat wieder daran erinnert wird, was er getan hat. Kann er die nicht zahlen, muss er einen Kredit aufnehmen und kann den dann durch Arbeitsstunden abstottern.
    Wie treten die jungen Leute denn bei einer Gerichtsverhandlung auf?
    Diese junge Frau, deren Akte hier liegt, die hat mich in der Gerichtsverhandlung geduzt. Ich habe sie dann zweimal verwarnt, beim dritten Mal gab’s wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht ein Ordnungsgeld. Und wenn sie das nicht zahlt, geht sie in Ordnungshaft. Chef, weißt du, Chef, hör mal – so etwas gibt es bei mir nicht. Die sollen ihren Kaugummi rausnehmen und die Kapuze abnehmen, wenn sie bei mir in der Verhandlung sitzen. Außerdem ist der Gerichtssaal keine Peepshow, in

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