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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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höchstwahrscheinlich nur einem Zufall zu verdanken sein.« Nicht nur, dass sie mich für eine Wilde hielt – sie glaubte auch noch, ich hätte irgendwie gemogelt.
    »Weißt du, was mir am Kindsein am meisten stinkt?«, fragte ich Henry in Brülllautstärke, als wir wieder ins Auto stiegen. »Das Schlimmste am Kindsein ist, dass Leute, die doppelt so groß sind wie ich und halb so intelligent, über mein Leben bestimmen dürfen.«
    Henry seufzte. »Warte, bis du wählen darfst.«
    »Wie bitte?« Ich traute meinen Ohren nicht.
    »Diese Frau ist strohdumm«, fuhr er fort. »Wenn du willst, kann ich dich auch in ein Internat schicken.«
    »Wie bitte?«, sagte ich wieder.
    »Es gibt ein paar wirklich gute Internate, allerdings keins in unserer Nähe.«
    »Ich bin doch gerade erst gekommen«, sagte ich. »Willst du mich schon wieder wegschicken?«
    »Will ich nicht. Das ist das Letzte, was ich will, und das Letzte, was du brauchst. Aber die Alternativen gefallen mir auch nicht, und dir genauso wenig.«
    »Ich kapier einfach nicht, wieso ich überhaupt zur Schule gehen muss«, quengelte ich.
    »Das ist ein Gesetz, Zo’. Bis du sechzehn bist, musst du es, und ich muss dich hinschicken – egal auf welche.«
    »Du könntest mich selbst unterrichten.«
    Henry schwieg, als ich das vorschlug. Schließlich sagte er: »Zo’, das geht nicht. Aus verschiedenen Gründen.«
    Seine Kiefermuskeln wurden ganz starr. Wenn ich noch mehr nervte, konnte es gut sein, dass er vielleicht wieder explodierte, vielleicht würde er noch irgendein Teil aus dem Armaturenbrett reißen oder mich rauswerfen. Also verschränkte ich die Arme vor der Brust und schwieg während der restlichen Fahrt eisern. Ich rechnete es Henry ja hoch an, dass er mich gegenüber der Assistentin verteidigt hatte, aber als ich daran dachte, dass schließlich ich diejenige war, die fünf Tage die Woche sieben Stunden am Tag dasitzen und mich zu Tode langweilen sollte, da war ich ihm gleich weniger dankbar.
    Letzten Endes landete ich also wirklich in der fünften Klasse. Meine Lehrerin, Ms Avery, war ganz nett, aber zum Einschlafen langweilig. Das Einzige, was mich mit ihr versöhnte, war, dass sie jede Frage mindestens einmal wiederholte und beim zweiten oderdritten Mal vor der Frage immer erst den Namen des angesprochenen Kindes sagte. Also konnte ich den Tag damit verbringen, Bücher aus Henrys Bibliothek zu lesen, und musste nur dann einen Abstecher in die Wirklichkeit machen, wenn ich meinen Namen hörte.
    »Kinder, wisst ihr noch, wie die Hauptstadt von Montana heißt? Weiß es jemand? Zoë, erinnerst du dich an den Namen der Hauptstadt von Montana?«
    »Helena, Ma’am«, sagte ich.
    Der Stoff, den wir durchnahmen, war kinderleicht, ich wusste fast immer die Antwort. Allerdings meldete ich mich nie, sondern antwortete nur, wenn Ms Avery mich aufrief. Kein Mensch kann Angeber ausstehen. Ross Purcell hob so oft den Arm, dass ich ihn schon Mr Freiheitsstatue nannte, worüber die anderen Kinder lachten. Wenn Ms Avery ihn drannahm, hatte er die miese Angewohnheit, zuerst mit besserwisserischer Miene das mexikanische Mädchen rechts von ihm, das kein Englisch sprach, hämisch anzuglotzen und dann grinsend zu dem langsamen Schüler links von ihm hinüberzugucken, bevor er antwortete. Aber was er dann sagte, war nichts als hohles Geschwätz.
    Schlimmer noch als Ross war Hargrove Peters, ein muffiger Typ, der an seinem Tisch in der letzten Reihe mehr lag als saß. Obwohl ich noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, verbrachte er den halben Tag damit, mich anzustarren, als hätte er mich vom ersten Tag an nicht ausstehen können. Er verließ jeden Tag als Letzter den Klassenraum, er kam jeden Morgen zu spät, er hob nie die Hand, und wenn er aufgerufen wurde, antwortete er kaum. Entweder glotzte er mich finster an, oder er schrieb in ein Notizbuch, das er immer schnell zuschlug, sobald jemand an seinem Platz vorbeikam.
    Von Shelby, die auf der anderen Seite vom Gang saß, wussteich, dass Hargroves Vater der Bürgermeister von Sugar Hill war und Hargrove sich deshalb für was Besseres hielt.
    »Mich mag er jedenfalls schon mal nicht«, sagte ich.
    »Der mag niemanden«, antwortete Shelby. »Beachte ihn einfach nicht. Ich tu’s auch nicht.«
    Aber als die halbe Woche herum war, ging mir sein Geglotze furchtbar auf den Keks. »Starrt er immer noch her?«, fragte ich Shelby.
    Sie sah kurz zu ihm hin und nickte. »Wie die Katze auf die Maus.«
    Ein paar Minuten später stand

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