Zoë
Schuhe zu sehen, sogar auf den Bettdecken waren sie herumgetrampelt. Die Fenster konnte ich nicht wieder ganz machen, aber ich stopfte die kaputten Quilts in die Löcher, damit es nicht hereinregnete. Dann fegte ich die Scherben und den Dreck zusammen, so gut es ging, legte die zerbrochenen Schätze ins Waschbecken und machte das Bett neu. Ich wollte wenigstens ein bisschen Ordnung schaffen, aber gebracht hat es wenig. Die ganze Zeit über musste ich meine Tränen unterdrücken, und ich wünschte, wer immer mit dem Pfeil auf Hargrove gezielt hatte, hätte ihn mitten ins Herz getroffen.
Als Herr Kommkomm und ich schließlich zurückkamen, brannte Licht in jedem Zimmer von Henrys Haus. Eine elegante,hochglanzpolierte Limousine, die ich vorher noch nie gesehen hatte, stand in der Einfahrt. Herr K. blieb zurück, um an den Reifen zu schnuppern, während ich schon mal vorging. Bereits bevor ich die Veranda betrat, hörte ich Stimmen aus dem normalerweise ungenutzten Vorderzimmer.
Durch die Fenster sah ich, dass jemand die Laken von den Möbeln genommen hatte. Jetzt sah es dort aus wie in einem ganz normalen Wohnzimmer; alle Lampen waren an, und im Kamin brannte ein Feuer. Im Sessel gleich beim Kamin saß Bessie und redete. Henry lehnte am Kaminsims und sah mit finsterer Miene in die Ferne, und auf der Couch sah ich einen Mann und eine Frau, die ich beide nicht kannte. Der Mann hatte sich ausgestreckt und den Kopf in den Schoß der Frau gelegt. Sie war wohl etwa in Henrys Alter, schätzte ich, blond und sehr hübsch, und schien interessiert zuzuhören. Der Mann hielt eine leere Zigarettenspitze in der Hand und sah die ganze Zeit zu der Frau hoch.
Mir war nicht nach Gesellschaft zumute, also verdrückte ich mich erst mal in die Küche, um mir von Fred sagen zu lassen, was Sache war. »Eben hab’ ich mich gefragt, wann wohl der Anruf wegen der Lösegeldzahlung kommt«, sagte er und schaute kurz von dem Schinken auf, den er gerade einpinselte. »Henry und ich sind schon ganz krank vor Sorge. Noch zehn Minuten, dann hätten wir den Sheriff gerufen.«
»Wovon redest du eigentlich?«, fragte ich und nahm mir eine Handvoll Möhrenschnitze aus dem Sieb.
»Hat Henry dir nichts gesagt?«
»Ich hab noch nicht mit ihm gesprochen. Vielleicht sagst du’s mir?«
»Bürgermeister Peters bietet eine Belohnung von fünftausend Dollar, um den zu überführen, der seinen Sohn verletzt hat. Er sagt, er hat einen klaren Verdacht.«
»Tatsächlich?« Ich wünschte, ich wär’s gewesen.
»Tatsächlich.« Fred zog eine Augenbraue hoch. »Der Bürgermeister sagt, ihr hättet Anfang der Woche eine Auseinandersetzung gehabt, du und Hargrove …«
»Ich hab Hargrove dabei erwischt, wie er im Fach unter meinem Pult rumgekramt hat!«
»So wie du in seinem.«
»Das ist ja wohl nicht zu fassen! Vom allerersten Tag an hat Hargrove sich mir gegenüber total seltsam benommen! Ich war noch gar nicht hier, da konnte der mich schon nicht ausstehen. Er hat mein Tagebuch gestohlen! Er …«
»Erst recht ein Grund, vorsichtig zu sein«, unterbrach mich Fred.
Wütend kaute ich meine Möhren. Nur gut, dass Fred nicht hören konnte, wie es in mir brodelte. Wie bescheuert von mir, dass ich auch nur eine halbe Sekunde lang Mitleid mit Hargrove gehabt hatte – reine Verschwendung! Er hatte mich beleidigt, hatte etwas gestohlen, das mir gehörte, und war in meine Hütte, mein Allerheiligstes, eingedrungen. Ich war überglücklich, dass jemand auf ihn geschossen hatte. Das war nur der Anfang, er würde noch mehr büßen für alles, was er angerichtet hatte.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Fred.
Ich wechselte schnell das Thema. »Wer sind die Leute da drin?«
»Helen Cavanaugh und ihr Mann Franklin. Uralte Freunde von Henry aus New York, die ihn überraschen wollten. Sie ist Malerin und er irgendein berühmter Schriftsteller, außerdem Anwalt.«
Ich dachte an Lillian und Sid und verzog das Gesicht. Fred wusste gleich, was ich dachte.
»Keine Sorge«, sagte er. »Das sind gute Leute, sei also nett zu ihnen. Sie bleiben über Erntedank hier. Sie bekommen Henrys Zimmer, er schläft drüben im Atelier.«
»Da schläft er doch sowieso meistens«, bemerkte ich.
Fred warf mir einen warnenden Blick zu, während er den Schinken wieder in den Backofen schob. »Benimm dich bitte, ja? Geh rein und stell dich vor. Sie warten schon auf dich.«
Ich hatte keine Lust auf neue Leute, aber um nach oben zu gelangen, musste ich wohl oder übel am Vorderzimmer
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