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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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belegte.
    Kaitlyn werde gleich wieder dasein, versicherte Mark Spitz ihm. Sie sei zuverlässig.
    Gary zerrte sich eine Faustvoll Quilt bis ans Kinn, wie ein alte Dame, die ein hartnäckiger Luftzug stört. »Warum nennt man dich eigentlich Mark Spitz?«, fragte er.
    Er erzählte ihm von den Abschleppern, vom Nordöstlichen Korridor und von den Scherzen, als sie von dem Viadukt nach Fort Golden Gate zurückgekehrt waren. Er hatte in das allgemeine Gelächter eingestimmt, aber später hatte er Mark Spitz nachschlagen und dafür heimlich nach einer Papier-Enzyklopädie suchen müssen. Es dauerte eine Weile, bis er eine fand. Schließlich rettete ihn der Filmabend im Bungalow eines der Infrastruktur-Typen; die früheren Bewohner hatten ein dickes, fettes Lexikon besessen, alte Schule, sogar mit Bildern. Sein Spitznamensvetter war im vorigen Jahrhundert Olympiaschwimmer gewesen, ein echter Vollblüter, der den Weltrekord für die meisten Goldmedaillen bei einer einzigen Olympiade hielt: Freistil, Schmetterling. Aufgestellt bei den Olympischen Spielen in München – München, wo die Wissenschaftler in den Anfangstagen der Seuche bei der Arbeit an einem Impfstoff biologisch gefährliche Suppe aus den Infizierten gemacht hatten. Das Wort »Suppe« war ihm im Gedächtnis geblieben, nachdem einer der Bewohner des Ödlands ihm die Geschichte erzählt hatte. Überall wurden die Menschen weniger als Menschen, hatte er gedacht: Monster, Suppe.
    Sieben Goldmedaillen? Acht? Das war eine der untergeordneten Ironien seines Spitznamens: Er war alles andere als ein Olympionike. Die Medaillen, die man diesem Mark Spitz verliehen hatte, waren aus Altmetall geprägt. Mark Spitz erklärte Gary den Bezug zu seinem Spitznamen und fügte hinzu: »Plus die Geschichte von wegen Schwarze können nicht schwimmen.«
    »Stimmt das denn? Kannst du nicht schwimmen?«
    »Doch. Viele von uns können schwimmen. Konnten. Das ist ein Klischee.«
    »Das kannte ich noch nicht. Aber irgendwann muss man doch mal schwimmen lernen.«
    »Ich kann perfekt Wasser treten.«
    Er fand es unwahrscheinlich, dass Gary nicht im Besitz eines Katalogs rassischer, geschlechtlicher und religiöser Klischees inklusive Querverweisen zu entsprechenden Pointen plus metatextueller Zergliederung dieser Pointen war, aber er bedrängte seinen Freund nicht. Schrieb es dem Morphium zu. Inzwischen gab es ein einheitliches Wir, das gegen ein einheitliches Die geiferte. Würden auch die alten Bigotterien wiedergeboren werden, wenn sie diese Zone und die nächste und so weiter räumten und wieder zusammengepfercht sein, dicht und beklemmend aufeinanderhocken würden? Oder war es unmöglich, dieses spezielle Dickicht aus Animositäten, Ängsten und Missgünstigkeiten wiederzuerschaffen? Wenn sie den Papierkram wiedererwecken konnten, dachte Mark Spitz, dann konnten sie bestimmt auch Vorurteile, Strafzettel wegen Falschparkens und Wiederholungssendungen wiederbeleben.
    Es gab viele Dinge auf der Welt, die es verdienten, tot zu bleiben, doch sie liefen immer noch herum.
    Gary hatte aufgehört, in seinem brüderlichen »Wir« zu sprechen. Fraßen die Schädlinge schon an ihm, knabberten Kanäle durch seine Gehirnmasse? Er hörte, wie Kaitlyn in den Laden zurückkam. Er erkannte ihren Gang, musste sich aber vergewissern. Mit dem Angriff auf Gary stand er wieder mit einem Bein im Ödland, und nichts konnte als selbstverständlich gelten. Er fühlte sich energiegeladen, ein reptilischer Knoten an seiner Schädelbasis pochte.
    Kaitlyn ließ sich in den Morast des orangefarbenen Sitzsacks plumpsen, sank tiefer darin ein, als sie erwartet hatte, und sagte ihnen, sie habe Bravo weit und breit nicht gesehen. Über Funk noch immer nur ein Schwall von Rückkoppelungsgeräuschen. Gary schloss die Augen. Mark Spitz sagte: »Bleib wach. Bleib wach. Da gibt’s noch eine Sache über den Highway, die ich dir erzählen will. Das wird dir gefallen.«
    Er erzählte seiner Einheit, wie er hinter das geheime Herz von Quiet Storms Manövern gekommen war. Er befand sich an Bord des Hubschraubers auf dem Weg in die Zone. Die anderen Abschlepper hatten sich dafür entschieden, am Korridor weiterzumachen. Richie mochte »die Großstadt« nicht, wie er es nannte, dabei war er wie so viele, die das Wort benutzten, nie dort gewesen. Mark Spitz wies nicht darauf hin, dass das, was Richie an der Stadt vermutlich am meisten hasste, nicht mehr da war: die Menschen. Quiet Storm sagte zu ihm – in ihrem sonderbaren

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