Zone One: Roman (German Edition)
Hinterhalt der Jammergestalten, um nur zwei die Glaubwürdigkeit strapazierende Widrigkeiten zu nennen – ihre Stunts durchweg selbst. Mit der Wiederherstellung der Kommunikation mit den europäischen Mächten sickerte die Kunde von ihren Heldentaten durch, und wegen ihrer Kraftanstrengungen war sie zu einer Akteurin in der Regierung ihres Heimatlandes geworden. Provisorische Regierungen waren dieser Tage ein echter Renner, ein internationaler Trend im prächtigen alten Stil.
Eine Gesellschaft schafft sich die Helden, die sie braucht. Gina war die aus der Katastrophe hervorgehende, neue Spezies von Promi, die dank der geänderten Definitionen von Tapferkeit und Einfallsreichtum ins Rampenlicht rückte. Welchen Amerikaner hatte sie nicht begeistert, die inspirierende Geschichte von Dave Peters, der sechs Monate lang in einem Katamaran auf einem See in Michigan getrieben war, von einem Karton Cashewnüsse gelebt hatte und jedes Mal weggepaddelt war, wenn er dem Ufer zu nahe kam, wo es von Toten wimmelte. Jeden begeisterte die Geschichte von Wilhelmina Godiva und ihrer Getreidesilo-Festung, wie sie sich zu den Siedlungen in Maryland durchgeschlagen hatte, bewaffnet nur mit ihrer berühmten rostigen Mistforke, die jetzt in einem Schaukasten über dem Eingangstor von Camp Victory’s Sword hing. Sie hatte den Verstand verloren, gewiss, aber sie hatte es geschafft, und ihre Anhänger sorgten für sie, wischten ihr den Speichel von den Lippen, während sie ihre Prophezeiungen in ihr digitales Aufzeichnungsgerät murmelte. Auf der anderen Seite des Ozeans lenkte Gina Spens Such- und Vernichtungsaktionen in Süditalien und wurde zu einer Weltsensation, von der man im flackernden Schein erbeuteter Moskitokerzen raunte. Je unwahrscheinlicher die Überlebensgeschichte, die extreme Absurdität der eigenen Situation in einer Welt extremer Situationen, desto größer der Ruhm. Gina hatte einige spektakuläre Abschüsse zu verzeichnen. Ja, sie hatte ihre Fans.
»Ich halte euch natürlich auf dem Laufenden, wie die Sache weitergeht«, sagte Lieutenant. Es war bis nächste Woche ihr letztes Bulletin von jenseits der Insel. Er wies ihnen ihre neuen Einsatz-Planquadrate zu. Dann schloss er mit seinem üblichen: »Und jetzt geht schön spielen, ihr kleinen Phönies«, und der ironische Tonfall, mit dem er das Slangwort aussprach, rief verschiedentlich ein Grinsen hervor. Die strategische Hemdsärmeligkeit des Lieutenants tröstete die Truppen, wenn sie draußen im Feld waren. Wenigstens einer, der am Wiederaufbau arbeitete, ein richtiger Mensch unter all den nicht greifbaren Figuren, die in Buffalo Verlautbarungen und Leitsätze ausspuckten.
Sie waren entlassen. Auf sich allein gestellt. »Wir machen keine Hausarbeiten«, sagte Gary, während Omega den Jiaozi-Laden verließ. Er sagte es, wie Mark Spitz bemerkte, so laut, dass die Typen aus seiner alten Einheit es mitbekamen, um ihnen zu zeigen, dass er immer noch der Alte war, auch wenn man ihn jetzt mit Figuren von zweifelhaftem Charakter zusammengespannt hatte, der Art von Trotteln, die sie in den düsteren Tagen des Interregnums überfallen hatten, um ihnen ihren Reis abzunehemn.
»Ich schon«, sagte Kaitlyn. »Ich bin zweimal zur Sprecherin der studentischen Fachschaft gewählt worden.« Mark Spitz schauderte, als wäre er gebissen worden: so etwas ohne einen Hauch von Verlegenheit zuzugeben. Es mit Stolz zu sagen. Wer auf dem Planeten hatte diese Worte seit dem Ausbruch in dieser Reihenfolge aneinandergereiht: Sprecherin der studentischen Fachschaft? Es war wie ein halb erinnertes, zufällig auf der Straße gehörtes Schlaflied, gegurrt von einer jungen, in der Sommerhitze über ihr Kind gebeugten Mutter, ein Wiedererwecken von Unschuld: Sprecherin der studentischen Fachschaft. Begünstigt wurde dieser Effekt von einem seltenen Auftauchen der Sonne, die aus dem Grau hervorlugte. Nicht allzu viel Asche am Himmel, obwohl sie nur ein paar Häuserblocks von der Mauer entfernt waren.
Er war schon einmal hier gewesen. Es war nicht das Chinatown von früher, aber in den Winkeln seiner Wahrnehmung lösten sich die Pixel auf und reduzierten die Distanz zwischen dem alten und dem neuen Chinatown auf null. Die krummen Straßen waren geräumt worden, um den Militärfahrzeugen Zugang zu verschaffen, und Soldaten gingen gemächlich Streife, rissen Witze, machten sich über das verstümmelte Englisch eines Ladenschildes lustig und diskutierten über die Attraktivität der Unteroffizierin,
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