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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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unserer derzeitigen Kapazität bewältigen, ihr wisst also, was das bedeutet –«
    »Aschermittwoch!«, rief jemand von hinten.
    »Und Donnerstag und Freitag.« Der Lieutenant konsultierte das Bulletin und informierte sie darüber, dass ein Vorstandsmitglied des riesigen Bekleidungskonzerns sich in Victory’s Sword eingefunden und die Waren seiner Firma großzügigerweise in den Dienst der gemeinsamen Sache gestellt habe. Der Lieutenant ließ seinen Leuten einen Moment Zeit und sagte dann, sie sollten sich beruhigen. Es wäre schwierig, ihre Begeisterung als ungerechtfertigt zu bezeichnen. Die Firma pflegte vier Produktlinien: eine Edelboutique, die elegante Kleidung für einen Tag im Büro oder einen schicken Abend in der Stadt führte; eine für den Massenmarkt gedachte Kollektion vernünftiger Alltags-Basics; preiswerte Modelle für den kostenbewussten Kunden; und einen erst kürzlich hinzuerworbenen Hersteller von Dessous in Übergrößen, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten, aber dank des geschickten Managements der neuen Mutterfirma aus der Krise geführt worden war. Alle Kleider waren ungeachtet ihres Preisniveaus solide gefertigt; die Firma trug den aktuellen Fronten in puncto billige Kinderarbeit Rechnung. »Die gesamte Konzernfamilie steht euch offen«, sagte der Lieutenant, »und zwar für jedes Stück mit einem Einzelhandelspreis von unter dreißig Dollar. Schaut auf die Preisschildchen, Freunde! Wenn ihr neues Unterzeug oder ein Sweatshirt oder so was braucht.«
    »Für unter dreißig Dollar kriegt man kein neues Sweatshirt!«
    Von weiter hinten, an einem der unerwünschten Tische bei den Toiletten, konterte jemand, dass man beim Discounter ohne weiteres ein Sweatshirt für weniger bekomme. Jemand anders bekräftigte diese Behauptung.
    »Gary besorgt sich ’n paar Negligees für Mollige«, schrie einer von Garys alten Kumpanen.
    »Wir finden, dass es sich unterm Spezialgewebe gut anfühlt – solltet ihr auch mal probieren«, sagte Gary und zeigte die Reihe seiner grauen Zähne. Jeder, der mit Gary zusammenarbeitete, stellte sich rasch auf dessen Angewohnheit ein, von sich selbst in der ersten Person Plural zu reden. Er war ein Drilling, einer von drei Brüdern. Die anderen waren in der Letzten Nacht umgekommen, aber Gary sprach weiterhin für sie gemeinsam und folgte damit, wie Mark Spitz vermutete, einer lebenslang geübten Praxis, sich allen, die nicht genau das gleiche Erbgut hatten, als brüderliche Einheitsfront zu präsentieren. Es war eine verstörende Vorstellung, wie Gary und seine anderen Versionen in der Küche ihres Wohnwagens standen und Süßigkeiten oder noch mehr Comics verlangten, viel verstörender jedenfalls, als einen Mann im Kampfanzug erzählen zu hören, wofür sich Gespenster begeisterten. Die PABS hatte so viele Gesichter, wie es Nichtinfizierte gab, und wie bei den Ödland-Glotzern betrachtete man die speziellen Symptome von anderen als harmlose Marotten. Schlichte Höflichkeit, damit sie nicht beanstandeten, was man selbst für welche zeigte.
    Mark Spitz beschloss, sich neue Socken zu besorgen. Nun, da die Vorschriften gegen Plünderung in Kraft getreten waren, war es jedermann – Soldaten, Zivilisten und Sweepern gleichermaßen – verboten, Waren und Materialien an sich zu nehmen, die jemand anders als einem offiziellen Sponsor gehörten, ob es sich nun um Whiskey aus dem Süden oder ein naturreines Enthaarungsmittel handelte. Nahrungsmittel waren davon ausgenommen – in manchen Landesteilen waren Trinkpäckchen noch immer ein legales Zahlungsmittel –, aber im Wesentlichen galt: Schluss mit der Klauerei, Leute. Es hatte einmal Gesetze gegeben; sich trotz des Interregnums an ihr leises Gemurmel zu halten hieß, an ihre Rückkehr zu glauben. An den Wiederaufbau zu glauben.
    Die Verbote waren allerdings schwer durchzusetzen, und zwar aus naheliegenden Gründen. Die Zivilisten in den Camps ließen sich kontrollieren, da die meisten niemals über deren Grenzen hinauskamen, aber noch immer durchstreiften ungezählte Amerikaner das große Draußen, unerreichbar für Anordnungen, wie Sklaven, die nicht wussten, dass sie befreit worden waren. Die offiziell zugelassenen Sammelteams blieben weitgehend unbeaufsichtigt, und die Soldaten hatten persönliche Bedürfnisse, die sich den Klassifizierungen auf Anforderungsformularen entzogen, keine Kennnummer hatten. Offiziere beschlagnahmten verbotene Ware, wenn sie ihnen ins Gesicht sprang – Designer-Sonnenbrillen und die

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