Zone One: Roman (German Edition)
Befehle über Funk gegenprüfte und geistesabwesend Blut von ihrem Messer abwischte, wo sie doch eigentlich in ihrer Lieblingsjogginghose, mit der sie immer durchs Studentenwohnheim schlappte, einer ihrer Verbindungsschwestern zum Gebalze eines sexuell zweideutigen Pop-Avatars aus den Computer-Boxen die Haare hätte flechten müssen. Natürlich war sie zweimal zur Sprecherin der studentischen Fachschaft gewählt worden: Wer würde so was erfinden?
Es konnte sein, dass ihre Einheit in einem schicken Frisiersalon vor einer Reihe von Haartrocknern praktisch knöcheltief in gallertartigen Klumpen von Gehirnmasse stand und Kaitlyn munter davon plauderte, wie sie den Sommer immer in der Hütte ihrer Großeltern verbracht hatte: »Na, das Übliche halt, geritten oder als Rettungsschwimmerin gearbeitet«, oder sich mit ihren »ewig besten Freundinnen Amy und Jordan« in der Eisdiele Geld für Schminkkram verdient. Wie bitte? Mark Spitz sah es deutlich vor sich: Kaitlyns unerbittlichen Marsch durch eine Reihe einfallsreicher und durchdachter Geburtstagspartys – ihre Eltern ließen nichts unberücksichtigt bei diesem Geschenk der einen Generation an die nächste –, und jede Geburtstagsparty transzendierte die vorangegangene und näherte sich einer Art von Geburtstagspartyvollkommenheit, die, einmal erreicht, ein herrliches neues Zeitalter bürgerlicher Idealität einläuten würde. Sie bemühten sich, sie planten, sie bekamen die E-Mail von jenem neuen Zauberer in der Stadt mit seinen neuartigen Fingerfertigkeiten. Vielleicht, dachte er eines Nachts, war es gar nicht die Idealität gewesen, auf die sie hingearbeitet hatten, und Kaitlyn selbst hatte die Seuche hervorgerufen: Mit dem Anschneiden des Kuchens auf ihrer letzten, vollkommenen Geburtstagsparty war die Geschichte an ihr Ende gekommen. Sie hatte die Kerzen auf der alten Ära ausgeblasen, den Dinosaurierhimmel ausgelöscht, den großen Eisschild vorwärtsschrappen, den Blutzoll wie wahnsinnig hochschnellen lassen.
Während er mit Kaitlyn die Insel beackerte, empfing Mark Spitz ständig Depeschen aus der untergegangenen Welt, verwittert, aber noch lesbar. Jener Ort lebte und bestand in ihr, in dem winzigen Tumult von Chinatown, fort, und solange sie und andere ihresgleichen atmeten, würde er vielleicht wiederkehren. Wenn Omega sich abends bei Schichtende entspannte, warf Kaitlyn den Transporter an und holte diese unberührten Artefakte der Normalität in ihr Biwak. »Einmal, bei Schüler- UNO , haben wir nach Feierabend den Feueralarm ausgelöst, weil da so süße Jungs aus Michigan waren, die wir unbedingt im Schlafanzug sehen wollten.« Gary und Mark Spitz wechselten einen ungläubigen Blick: Nach allem, was sie schon miterlebt hatten, waren noch riesige Gefilde des Merkwürdigen in Reserve gehalten worden.
Sie hatte es geschafft. Sowenig Gary begreifen konnte, wie zum Geier sich ein Tölpel wie Mark Spitz unversehrt durch die Unzahl von Bedrohungen gewurstelt hatte, sowenig war Kaitlyns Reise vorstellbar. Ausnahmslos jeder in Fort Wonton erlebte bei der Begegnung mit Kaitlyn eine kurze Phase kognitiver Dissonanz, wenn er sich ihrem heiteren Gekicher ausgesetzt sah. Aber sie hatte das Gleiche getan, zu dem sie alle gezwungen gewesen waren. Sie war gejagt worden, und sie war entkommen. Sie hatte getötet, und sie hatte mitansehen müssen, wie die Protagonisten ihrer Anekdoten massakriert wurden, ihre ehemaligen Kommilitoninnen und Diskussionspartner. Ihre Eltern, die ihr offenbar doch mehr vermittelt hatten als die Verhaltensweisen eines sonnigen Gemüts, sonst hätte sie es nicht bis hierher geschafft. Sie hatte überlebt, und deswegen war sie hier in Zone One. Ganz gleich, wie ihr Leben davor ausgesehen hatte.
Die Wissenschaftler brauchten die Daten der Sweeper, um sie mit ihrer bruchstückhaften Karte abgleichen und Vorhersagen treffen zu können. Kaitlyn und ihre Geschichten waren eine weitere Schablone, die sie über die Katastrophe legen konnten, um sich an die frühere Form der Welt erinnern zu lassen. In ihren jeweiligen Labyrinthen schufteten die diversen Beteiligten mit ihren Werkzeugen an der Zukunft: »Wir schaffen das Morgen!« Wozu sonst waren sie in Manhattan, wenn nicht dazu, die alten Sitten durch die Katastrophe hindurch in die Geborgenheit der anderen Seite zu befördern? Wenn du das nicht glaubst, fragte sich Mark Spitz, warum bist du dann hier?
Omega schloss die Operation in der Personalabteilung ab. Es war eine aufwendigere und
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