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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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die mit dem Morgentransport gekommen war. Inzwischen befanden sich in diesem Sektor von Zone One die belebtesten Straßen der Stadt. (Oder vielmehr die belebtesten Straßen, in denen die Menschen noch Menschen waren – er zog sich aus dem Schatten zurück, der herankroch, dem Schatten von Ecken in Uptown, wo die ungezählten Horden blindwütig umherzogen.) Die Infanteristen und Offiziere, die Sweeper und Pioniere waren schick gekleidet, in frischen, makellosen Kampfanzügen aus dem neuen stich-, reiß- und abriebfesten Gewebe – der totale Luxus –, sie trugen Arbeitswesten und Waffen, die von diversen Laschen, Schnallen und Holstern festgehalten wurden, aber sie taten, was Menschen in einer Großstadt taten: verschnauften zwischen zwei Besorgungen. Und das war das Leben.
    Als Jugendlicher war Mark Spitz nach Chinatown gefahren, um sich Feuerwerkskörper und Raubkopien zu besorgen, und das Gewühl hatte ihn jedesmal überwältigt, so wie viele Söhne und Töchter von Nassau County. Man musste bloß auf Long Island aufwachsen und in einer Nebenstraße eines der Spiralarme des Expressway wohnen, und nichts verursachte einem ein stärkeres Schwindelgefühl als ein Besuch in Chinatown mit seinen disparaten, drängelnden Massen. Es war das auf eine hochprozentige halbe Meile konzentrierte Klischee des schnellzüngigen, hektischen, kräftig austeilenden New York. Man gehörte nicht dazu. Das Monster würde einen verschlingen. Vor dem Jiaozi-Laden, an diesem neu besiedelten nördlichen Rand von Zone One, war das winzige Chaos – das plötzliche Hupen eines Lieferwagens oder die Fehlzündungen eines Jeeps – das Geräusch der Verheißung, einer Zivilisation, die aus dem Beinhaus heraustrat. Das Getriebe von Chinatown war das Konzentrat des größeren Gedränges der ganzen Stadt gewesen, und nun sprach der Widerhall dieses Krachs in dieser Handvoll Straßen von einer verschwundenen Ordnung, die sich vielleicht wieder geltend machte. Wenn man an den Auftrag glaubte. Die Gegend würde nie wieder so quirlig und ausgelassen sein – jedenfalls nicht zu Mark Spitz’ Lebzeiten. Sie brauchten Tromanhauser-Drillinge und ihresgleichen, die Wiederbevölkerungsmaschine der Babys, die Ungeborenen. Doch eine Sekunde lang erblickte Mark Spitz etwas von der neuen Stadt, die zu bauen man sie geschickt hatte.
    Omega marschierte Richtung Downtown zu ihrem neuen Einsatzgebiet: Planquadrat 98, begrenzt von Chambers und West Broadway, ein gemischtes Wohn-/Gewerbegebiet. »Auf seine sämtlichen Fahrstuhllosen«, sagte Mark Spitz.
    »Wir hätten nichts gegen noch ein paar Parkplätze«, sagte Gary.
    »Oder eine große Tankstelle«, sagte Kaitlyn. Parkplätze waren die reinsten Geschenke. Niemand meckerte über einen riesigen Parkplatz genau in der Mitte des jeweiligen Planquadrats.
    »Das sind ungefähr anderthalb Kilometer«, sagte Gary.
    »Zwanzig Blocks«, korrigierte Mark Spitz.
    »Kilometer.«
    »Blocks.«
    »Kilometer«, sagte Gary, während sie in Richtung West Broadway marschierten, und fügte hinzu: »Wir hassen dieses Gürteltier. Hat uns schon als kleinen Kindern Angst gemacht.«
    Kaitlyn hatte nichts gegen das alberne Heft, ja, sie genoss die Gelegenheit, ihre Begleiter zu einem Abstecher in die Gasse ihrer Nostalgie zu nötigen. »Früher hatte ich das ganze Zeug, ich hatte alles«, sagte sie und untertitelte dann ausführlich die im Museum ihrer Kindheit ausgestellten Plüschtiere, Poster und Plastikfiguren, die vielfältigen Zusatzprodukte der Markenfamilie des effeminierten Gürteltiers. Gary schmuggelte sein charakteristisches Stück Zuhause unter seinen Fingernägeln, und bei ihrer Einheitsführerin lag es in dem irrlichternden Gesprächsbröckchen, dem neckischen Tonfall, der es möglich machte, so zu tun, als wären die drei der toten Stadt entrissen worden und führen in Kaitlyns Kleinbus, gondelten durch die helle, herrliche Vergangenheit, unterwegs zum Einkaufszentrum, um sich mit der Clique am Trinkbrunnen im Schlemmermarkt zu treffen oder sich für den neuesten 3-D-Kassenschlager anzustellen.
    Kaitlyns heimatliche Herde hatte in den süßen Beeren vornehmer Herkunft geweidet. Mark Spitz besaß kein komplettes Dossier über sie aus jener Zeit, aber er arbeitete daran. Sie war das biotechnische Produkt der Brutkammern eines geheiligten Fürstentums im Mittleren Westen, eines bürgerlichen Reichs der Unversehrtheit. Hier war sie, mit langen, unter ihrem Helm hervorlugenden Locken und schräggelegtem Kopf, während sie

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