Zone One: Roman (German Edition)
sich mit den neuen Vorschriften ab. Sie nahmen die Treppe.
Mark Spitz und Gary kümmerten sich zuerst um die schwersten Leichen. Ihrer Gewohnheit entsprechend, schleppten, zerrten und traten sie sie durchs Treppenhaus nach unten, arbeiteten sich keuchend durch die Hohlblock-Eingeweide. Etwaige Zeugen hätten selbst schon Leichen bewegt und daher Verständnis gehabt. Nach wenigen Stockwerken wurde der dumpfe Schlag, mit dem die Köpfe der Skels auf die Stufen bumsten, von einem feuchten, nervenzermürbenden Patschen abgelöst. Die Leichensäcke waren an beiden Enden mit Griffen versehen, aber die Realitäten der Produktherstellung in Seuchenzeiten – die wiedergewonnenen Fabriken wurden neu konfiguriert, sodass sie, und das häufig auf schlampige Weise, Artikel außerhalb des Bereichs ihrer ursprünglichen Bestimmung produzierten – brachten es mit sich, dass die schlecht befestigten Griffe oft schon nach wenigen Manövern abrissen. Wenn das passierte, packten die Sweeper das jeweilige Ende des Sacks und spürten durch das Plastik hindurch die Leichenpampe quatschen.
Gary sagte: »Wir werden ihn das Lasso nennen.«
Mark Spitz gab keine Antwort. Er hatte keine Ahnung, wovon Gary gerade redete, und wartete den Zusammenhang ab. Zeit war genug. Sie hatten erst die Hälfte des Weges bis auf die Straße geschafft. Die Notbeleuchtung funktionierte noch, und über Renegaten, die im Dunkel lauerten, brauchten sie sich keine Gedanken zu machen. Die beiden Sweeper machten so viel Lärm, dass jeder im Treppenhaus herumgeisternde Teufel sich längst bemerkbar gemacht hätte.
»Unseren Skel-Fänger. Wir werden ihn das Lasso nennen.«
»Ich dachte, du hättest dich für Greifer entschieden«, sagte Mark Spitz.
»Lasso klingt anspruchsvoller.«
In seiner Freizeit arbeitete Gary an einem Gerät zur Neutralisierung von Skels. Er rekrutierte Mark Spitz und Kaitlyn für die einzige bestehende Fokusgruppe auf dem Planeten, die wochenlang Ideen sammelte. Ergebnis des neuesten Durchlaufs war eine lange Stange mit einem Halsband mit Sperrklinke am funktionalen Ende. Das Halsband war seinerseits an einem Beutel befestigt, der aus demselben reiß- und bissfesten Material wie ihre Kampfanzüge bestand. Wenn man auf ein Skel traf, streifte man ihm das Halsband über den Kopf und ruckte dann kräftig nach hinten. Das Halsband zog sich zusammen wie eine Handschelle, löste sich von der Stange, »und voilà, Skel im Beutel«. Die gefangenen Monster konnten weder den Beutel durchbeißen noch etwas sehen. Sie waren neutralisiert. Man konnte mit ihnen machen, was man wollte.
Das Problem war, dass man mit einem gefangenen Skel nur eines machen konnte: ihm den Gnadenschuss geben.
Darauf hatten Mark Spitz und Kaitlyn Gary mehrfach hingewiesen und auch in anderer Hinsicht Kritik an der Erfindung geübt. Der Skel-Fänger, der Greifarm oder das Lasso – für welchen Namen auch immer sich Gary entschied (er hatte kurzzeitig sogar mit »der Gary« kokettiert) –, war im Nahkampf unbrauchbar. Er setzte eine niedrige Feinddichte voraus – bei zwei oder mehr Kreaturen im Einsatzgebiet wurde die Handhabung durch zu viele Variablen kompliziert. Man brauchte zur Bedienung beide Hände, sodass man, falls nötig, keinen Kopfschuss in letzter Sekunde abgeben konnte. Aber das waren Fragen der praktischen Anwendung. Das Hauptproblem lag natürlich darin, dass kein Mensch ein gefangenes Skel wollte. In der Anfangszeit benötigte der Staat noch einen gewissen Bestand an frisch Infizierten und gründlich Verwandelten für Versuchszwecke, um nach einem Heilmittel zu suchen, einen Impfstoff zu entwickeln oder das Phänomen schlicht und einfach »im Namen der Wissenschaft« zu erforschen. Die Arbeit am Impfstoff ging weiter – was wollte man machen, die Epidemiologen rausschmeißen, jetzt wo der Infrastruktur Vorrang eingeräumt wurde? –, und bestimmt ließ Buffalo die Zentrifugen und Elektronenmikroskope in seinen unterirdischen Labors noch immer auf Hochtouren laufen, aber es gab einfach keinen Markt für frische Skels, von dem einen oder anderen Hillbilly-Folterkeller einmal abgesehen. Kein Mensch nahm mehr das Wort »Heilung« in den Mund. Die Seuche verwandelte den menschlichen Körper so sehr, dass niemand mehr glaubte, er könne wiederhergestellt werden. Gewiss, es hielten sich hartnäckig Gerüchte, dass sich in den Alpen ein Team von Schweizer Wissenschaftlern eingebunkert hatte, die an Methoden arbeiteten, die Auswirkungen rückgängig zu machen,
Weitere Kostenlose Bücher