Zone One: Roman (German Edition)
festzuhalten blieb allerdings, dass die Spielautomaten ihre robuste Klientel von glasäugig dreinschauenden Debilen behalten hatten, den Neandertalern mit ihren unermüdlichen Klauen. Ihre Lieblings-Blackjack-Kartengeberin, Jackie, ein wettergegerbtes Weib, das unter einer zusammensackenden, rotblonden Bienenkorbfrisur hervorlächelte, hatte sich krankgemeldet, und die Kreatur an ihrer Stelle vertat sich ständig beim Geben, aber sie entschieden sich gegen eine Beschwerde bei der Tischaufsicht, nachdem sie deren achtunggebietende, abweisende Miene in Augenschein genommen hatten. Zugegeben, das Angebot an Singles war diesmal ein wenig dezimiert, sie boten ihre Pantomime der Ausschweifung mit müdem Affekt und schwenkten teilnahmslos die Gummipenisse auf der Tanzfläche. Mehr als einmal kam den beiden der Gedanke, dass diese Tour wohl nicht in ihre Anekdotensammlung eingehen würde, und sie trauerten, während sie an subventioniertem Alkohol nippten. Vielleicht waren sie diesen Schwärmereien ja entwachsen. Vielleicht waren diese Zeiten tot, und sie wurden sich erst jetzt der neuen Verhältnisse bewusst.
Sie sahen keine Nachrichten und bekamen auch keine von draußen.
Sie blieben bis nach Morgengrauen auf, hauten sich aufs Ohr, erhielten Absolution in deren säkularer Form des Ausschlafendürfens. Sie fädelten sich in den nach Norden fließenden, sonntäglichen Verkehrsstrom ein und verdrückten die abgestandenen Colas und Truthahn-Wraps, die sie an einer Raststätte gekauft hatten. Die Wraps waren laut Etikett in einen Kunststoff eingeschweißt, der sich binnen dreißig Tagen zu einem umweltfreundlichen Nichts abbaute. Der Verkehr war grauenhaft und beschämend, aus jenem Pantheon von Verkehr, mit dem man es zu tun hat, wenn man zu einer Hochzeit oder sonst einem monumentalen Ereignis von flüchtiger Bedeutung fährt und spät dran ist. Bestimmt entfaltete weiter vorn ein Unfall seine elende Zwangsläufigkeit, und jetzt war alles verstopft, verlangsamt, die Autos Silben in einer Beschwörung von Unglück. Fahrer und ihre Beifahrer benahmen sich daneben, schwenkten auf den Seitenstreifen und schossen an den glücklos Festsitzenden vorbei, schienen ihre Fahrzeuge manchmal sogar stehenzulassen. Gestalten wankten über den Mittelstreifen. Feuerwehrautos und Polizeiwagen rasten in ihrer üblichen Hysterie vorbei. Kyle und Mark Spitz tauschten Playlists, die von ihren digitalen Musikgeräten über die Autoboxen abgespielt wurden. Der Verkehr ließ nicht nach, als sie aus dem Tunnel kamen, der Long Island Expressway war in beiden Richtungen dicht.
»Wichtiges Spiel heute Abend oder ein Konzert«, sagte Kyle.
»Die sollen mal chillen«, sagte Mark Spitz. Der Montag drückte wie ein Schraubstock. Man merkte die Verzweiflung am Ende des Wochenendes, das Ende des Amüsements und das Schwinden der Gnadenfrist. Jeder auf den Expressways und Turnpikes spürte sie, da war er sicher, diese Verflüchtigung von Aussichten. Welch ohnmächtiges Aufbegehren inszenierten sie, wenn sie schwächlich auf das Kunstleder ihrer Hupen schlugen und pornographische Verwünschungen ausstießen. Rückblickend entsprach vielleicht die Intensität jenes Moments, der Druck, den er spürte, der Ungeheuerlichkeit des Lebewohls, denn dies war der Abschiedsverkehr, waren die letzten Verspätungen und damit zusammenhängenden Ausreden, die finalen Unbequemlichkeiten einer untergehenden Welt.
Schließlich kamen sie an der Ecke an, wo Mark Spitz wohnte. Am anderen Ende der Straße spielte eine kleine Gruppe von Jungen Basketball. Das Spiel ging gerade zu Ende, es war schon eine ganze Weile zu dunkel zum Spielen, und er versuchte, die Spieler zu erkennen, aber sie gehörten anscheinend nicht zu den wohlerzogenen Teenagern des Blocks. Spielten sie überhaupt Basketball? Auf dem Pflaster lag eine kleine, runde Form, und sie bückten sich in wirrem Haufen danach. Ihre Gesichter erkannte er nicht, nur jene schlappe Krümmung der Schultern, das Kennzeichen der immer wiederkehrenden Epidemie des Sonntagabends: Zurück an die Arbeit.
Mark Spitz verabschiedete sich zum letzten Mal von seinem Kindheitsfreund und ging den mit Pflastersteinen belegten Pfad hinauf, der kürzlich anstatt des Ziegelsteinwegs, an dem er sich viele Male die Knie aufgeschürft hatte, errichtet worden war. Mit Ausnahme der Collegezeit und kurzer, glückloser Aufenthalte hier und da – einem vermurksten Abenteuer in Kalifornien, als er einer Frau nachgestiegen war, der er nicht hatte
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