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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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schlurften keine trostlosen Horden von Auswärtigen durch die Gegend, und kein Freizeitfaschist weiter vorn heckte irgendetwas aus, um einem das nächste Taxi wegzuschnappen. In den riesigen Naturkostläden gab es keine Schlangen an der Kasse, nachdem man über den verstreuten Reis, die zerbrochenen Gläser mit blutroter Tomatensauce und die umweltbewusste Verpackung von was auch immer hinweggestiegen war, die während der kurzen Phase der Plünderungen auf dem Boden gelandet waren. In den angesagtesten Restaurants stand immer ein erstklassiger Tisch bereit, auch wenn die Tageskarte die gleiche geblieben war, seit die Ausdünnung der Menschheit ins Rollen gekommen war. Im Kino konnte man sitzen, wo man wollte, wenn man es ertragen konnte, im Dunkeln zu hocken, wo sich gelegentlich Monster regten.
    Die Straße sah normal aus. Sie war eine Fassade. Jenseits der Mauer warteten weitere Straßen wie diese, und jenseits der Stadt Flächen konservierten Geländes, alte Postkartenexemplare von Amerika, in aufgeräumten Winkeln erhalten. Sachverstand war eingesetzt worden, um die Illusion von Leben im Kadaver hervorzurufen, etwas Gefälliges. Dann machte man ein Geräusch, dachte Mark Spitz, und man sah die Bewegung von Kreaturen.
    Ein grauer Wasserwurm glitt seinen Rücken hinunter. Das letzte Mal hatte er das Zuhause seiner Kindheit in der Letzten Nacht gesehen. Von außen hatte es ebenfalls normal gewirkt, in jenem neuen Sinne des Wortes »normal«, das Ähnlichkeit mit der Zeit vor der Flut bezeichnete. Normal bedeutete »die Vergangenheit«. Normal war das ungebrochene Idyll des Lebens davor. Die Gegenwart war eine Reihe von Zeitspannen, die sich nur durch den Grad von Schrecken, den sie bargen, voneinander unterschieden. Die Zukunft? Die Zukunft war der Lehm in ihren Händen.
    In der Letzten Nacht hatte sich der Rasensprenger gedreht und im vorgeschriebenen Bogen Wasser auf dem Rasen verteilt. Der beruhigende Lichtkegel der Stehlampe neben dem Fernseher hatte wie schon seit Jahrzehnten durch die taubenblauen Vorhänge geschienen. Mark war keiner, der Schlüssel verlor, und hielt zwanzig Jahre alte Haustürschlüssel in der Hand. Als er nur Minuten später aus dem Haus floh, blieb er nicht stehen, um hinter sich abzuschließen.
    Er und sein Freund Kyle hatten ein paar Abende in Atlantic City in einem der neuen Boutique-Kasinos verbracht und sich zwischen den blendenden Oberflächen treiben lassen. Innerhalb des geschlossenen Bereichs hatten sie sich als Libertins am Trog imaginiert, rüsseltief wühlend. Die Automatenreihen trällerten, klingelten und johlten in einem regionalen Gelddialekt. An den Pokertischen riefen sie sich die Werte der Kartenkombinationen aus ihren Pokerbibeln vor Augen und witzelten nervös über die Typen, die übertrieben kumpelhaft mit den Kartengebern umgingen, die lokalen Haie auf ihrem nächtlichen Beutezug. Als Trinkgeld gaben sie den Kellnerinnen Chips, die sie im Geist gründlicher Buchführung vom Gesamtbestand der Nacht abzogen, und beim Craps schlossen sich ihre Finger vor dem Wurf in abergläubischen Bewegungen um die Würfel. Eine Zeitlang waren sie Helden für Fremde, in sporadischen Ausbrüchen bejubelt. Auf Barhockern beäugten sie die Junggesellinnen im Club, diskutierten über ihre Chancen und riefen Beinahe-Eroberungen bei früheren Besuchen in Erinnerung. In den Schlangen vor den Buffets bedienten sie sich aus Garbehältern und Gefäßen unter Wärmelampen, spießten Wasabi auf, schwenkten es durch winzige Keramikschalen und färbten damit Sojasauce. Nach sechsunddreißig Stunden wurde ihnen wie üblich bewusst, dass sie die Örtlichkeiten noch nicht verlassen hatten, und sie überließen sich freudig dem künstlichen Habitat, das das moderne Kasino darstellt. Es mangelte ihnen an nichts. Es war alles drin. Ihr Verstand vernebelte sich, während Möglichkeit und Fehlschlag sie in einer endlosen, verlockenden Schleife fesselten.
    Das Kasino war leerer als bei ihren früheren Streifzügen. Die neuen Kasinos schossen aus den klaffenden, von Baustahl starrenden Lücken, wo die Etablissements gestanden hatten, die über ihre besten Jahre hinausgewesen waren, und vielleicht war das ja die Erklärung, dachten sie, das Gesetz der Konkurrenz und die Verlockung des neuesten Flitterkrams. Alle Welt war in dem neuen Laden, von dem sie noch nie gehört hatten. Weniger Leute liefen um die Tische herum, beim Craps ertönten unterdrückte Schreie, Roulettekessel waren in Plastik gehüllt;

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