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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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glauben wollen, dass sie auf Frauen stand, und einer Saison auf einem Sofa in Brooklyn – hatte er sein Leben lang in diesem Haus gewohnt. Genaugenommen wohnte er im Keller, nachdem sein Kinderzimmer schon lange zum Arbeitszimmer seiner Mutter umfunktioniert worden war, aber die Renovierungsmaßnahmen seines Vaters im Souterrain – ein Unternehmen, das ihn über Wasser gehalten hatte, während so viele seiner Altersgenossen in den Stürmen der Midlife-Crisis gekentert waren – machten Mark Spitz’ Erklärung plausibel, er sei in den »Hobbyraum« gezogen. Der war, mit seiner Touchscreen-Klimaanlage und seinen programmierten Beleuchtungs-Abläufen, kein bloßer Keller, sondern eine Raumkapsel, die er zu dem Planeten seiner nächsten Lebensphase steuerte.
    Von außen wirkte das Haus normal. Die Rouleaus waren heruntergelassen, und mit Ausnahme des bereits erwähnten Schimmers der Stehlampe neben der TV -/Hi-Fi-Anlage im Wohnzimmer, jener verlässlichen Beleuchtung, die ihn jahrelang begrüßt hatte, brannte kein Licht. Seine Mutter hatte sich, in ihrem Jargon zu reden, »nicht so berauschend« gefühlt, und er vermutete, dass die beiden vor dem Festplattenrekorder im ersten Stock dösten, aus dem die letzte Viertelstunde der Folge von vergangener Woche dröhnte: das Urteil der Richter und die Vertreibung des jüngsten Sündenbocks; die von dem eigenwilligen Staatsanwalt zitierten obskuren Präzedenzfälle; die Nachspieler echter Verbrechen mit ihrem Schmierentheater. Seine Eltern zogen sich nach dem Essen häufig in ihr altes Flitterwochen-Nest zurück und überließen ihrem Sohn das Königreich im Erdgeschoss mit seiner HD -Ausstattung und den beiden mit Getränkehaltern versehenen Ruhesesseln. Der Hobbyraum war in jeder Hinsicht ein Wunder, ausgenommen der Fernseher, einer der seltenen Spontankäufe seines Vaters, der voller Hingabe die Bewertungen im Internet konsultierte und dem Pöbelchor oft sein eigenes Zwei- oder Dreisterneurteil hinzufügte. Das Gerät war ein Billigmarken-Fehlgriff und litt seit kurzem an einer schwarzen Blüte toter Pixels. Seine erbärmlichen Beschwörungen lieferten der Familie einen Vorwand, die großen Fernsehspektakel gemeinsam im ersten Stock zu genießen, diejenigen, die die gespaltene Nation vorübergehend wiedervereinigten, wenn auch in zeitversetzten Ausstrahlungen im Nacheinander der Zeitzonen.
    Er bedachte die Post auf der Ablage im Flur mit einem finsteren Blick und spekulierte erneut darüber, welche fehlgeleitete Einverständniserklärung neben anderen Merkwürdigkeiten seine Kennzeichnung als Mitglied der gegnerischen politischen Partei hervorgebracht hatte. (Bei der Katastrophe wurden die dämonischen Mailing-Listen gelöscht. Man konnte sich aus den zerfallenden Plattformen eine neue Zugehörigkeit aussuchen.) Er beschloss, sich mit seinen Gewinnen zu brüsten. Als er die Treppe hinaufstieg, ließ ihn das Geräusch seiner Sneakers auf den nackten Bohlen zusammenfahren. Die Renovierung des Vorgartenwegs war Teil eines größeren Projekts gewesen, zu dem die Neuverfliesung des sechseckigen Küchenbodens und die Entfernung des Treppenläufers gehört hatten. Es handelte sich um eine Aktion auf Fußhöhe. Sie arbeiteten ständig am Haus, seine Eltern. Die Projekte brauchten Zeit. Obwohl sie relativ jung waren ( jung wurde immer jünger, da die Türhüter der Medien sich immer früher Gedanken über ihre Sterblichkeit machten), ließen ihre Verschönerungspläne den Versuch erkennen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen: Wer war jemals bei der Installation eines Wasserspiels im Hintergarten gestorben, eines, das aus Polyvinylchloridschläuchen Freude spendete? Im Bett klebten sie Haftzettel an die Ränder von Katalogseiten und tauschten sie dann wie Geiseln über die Laken hinweg aus. Mit jedem Zimmer, jedem neu konzipierten und aufgepeppten Quadratmeter übertraten sie die Markierungslinie der Unsterblichkeit. Die Pläne, die technischen Daten, die Voranschläge auf der Rückseite von Briefumschlägen. Das alles würde ihnen Kraft geben. Als Nächstes kam die Gästetoilette dran.
    Von den Umgestaltungen auf Fußhöhe erschöpft, befanden sich seine Eltern zwischen zwei Renovierungsprojekten. Wenn es anders gewesen wäre, wären sie vielleicht noch am Leben.
    Mit sechs hatte er seine Mutter dabei überrascht, wie sie seinem Vater einen blies. Eine Public-Television-Sendung über die Gefährlichkeit des Lebens in der Serengeti-Wüste, im Vorbeigehen flüchtig gesehen, hatte

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