Zone One: Roman (German Edition)
rhetorischen Höhenflüge seines Chefs gewöhnt. »Man denkt natürlich an eine Belagerung, aber darüber sehen wir hinweg, weil das Wort unsere Handlungsfähigkeit ausblendet. Klar, ich kann dieses Spiel auch spielen. Hier drinnen sind wir vor dem sicher, was draußen ist. Wir hatten unsere modernen Annehmlichkeiten, die Geräte am Ende der Steckerleiste, die das Primitive ferngehalten haben. Ich hatte meine geliebte Cloud, Sie hatten Ihre Wolke.
Mir fällt auf, dass Sie nicht mit leerem Blick auf Ihre Handflächen starren. Gut. Manchmal werden diese Trauerklöße hierhergeschickt, denen es die Seele ausgehöhlt hat. Die gehen hier ziemlich schnell ein. Auf die harte Tour. Inzwischen durchleuchte ich jeden, der hierher kommt. Stelle fest, was hinter seinen Augen los ist. Sie haben den Test bestanden. Sie leben noch. Glückwunsch. Haben sogar noch sämtliche Finger. Was in diesem Metier ein großes Plus ist.«
Der Lieutenant hob ergeben die Hand in Richtung seines Gehilfen. »Wir sind fast fertig, dann können Sie gehen. Ich weiß, das erste, was die Leute machen wollen, wenn sie in Zone One kommen, ist herumlaufen. Sich die Sehenswürdigkeiten ansehen.« Draußen knatterte erneut die Mittags-Salve los. Er verdrehte die Augen. »Man gewöhnt sich dran. Seien Sie erst mal eine Zeitlang hier, dann gewöhnen Sie sich dran. Wieso haben Sie sich freiwillig gemeldet? Mögen Sie die Landwirtschaft nicht? Ich komme aus einer Familie von Landwirten.«
Mark Spitz wusste es in diesem Augenblick nicht. Es sollte einige Zeit in der Zone erfordern, bis er auf den Grund kam. Er sagte: »Wollte einfach nur meinen Beitrag leisten.«
»Gute Antwort! Diese zupackende Phönie-Einstellung. Ich persönlich sage, wecken Sie mich, wenn Sie irgendwo Koriander auftreiben. Haben Sie Familie?«
Er dachte an Onkel Lloyd, aber was gab es da zu sagen. »Ich weiß nicht.«
»War nicht ganz ernst gemeint. Ich muss öfter dran denken, dass wir früher diese Spezialeinsatz-Typen hatten, die den ganzen völlig bescheuerten Kram gemacht haben. Über feindlichem Gebiet abgesprungen, Liquidierungen mit ausgefallenen Methoden, auf Zehenspitzen rein ins Zelt, um den Warlord zu erwürgen – tun Sie so, als hätte ich das nicht gesagt –, und diese völlig bescheuerten Tötungsmaschinen waren immer alleinstehend, alleinstehende Männer und Frauen ohne Familie. Was haben sie zu verlieren, oder? Aber wer hat heute noch eine Familie? Alle sind tot. Die ganzen Urlaubsbilder, die in der Cloud schweben. Futsch. Da muss ich öfter dran denken. Inzwischen sind wir alle völlig bescheuerte Tötungsmaschinen, und wenn’s gegen eine alte Oma geht, die mit Stricknadeln fuchtelt, egal. Ich schweife ab.«
Der Lieutenant hielt inne, dann nickte er müde. »Was wir hier in Zone One machen, ist kein Selbstmordkommando. Es geht nur um ein paar Irrläufer. Willkommen im Team.«
Der Lieutenant starrte ihn an, und Mark Spitz fragte sich, ob er gehen konnte. Dann sprang der Mann noch einmal an. »Im Planquadrat schlafen Sie, wo Sie wollen. Suchen Sie sich’s aus. Versuchen Sie, nichts kaputtzumachen. Da sind die mittlerweile ziemlich hinterher. Sonntags kommen Sie hierher und machen Meldung. Ansonsten gilt, ausschalten, einsacken, wegpacken. Noch Fragen?«
»Kommt mir alles ziemlich unkompliziert vor«, sagte Mark Spitz. »Das war sehr informativ.« Fabio gab ihm einige Papiere. Während er die Tür hinter sich zuzog, hörte er: »Ich glaube, heute könnte es regnen. Sagen jedenfalls die guten alten Wolken.«
Es regnete tatsächlich. Seit jenem Tag regnete es eigentlich fast ständig. Am Fenster des Besprechungszimmers blickte Mark Spitz in eine feierliche Schwärze hinaus, die nur von einer weißen, von Fort Wonton ausgehenden Lichtkuppel unterbrochen wurde. Das Licht kletterte wie Schimmel einige Stockwerke an den Gebäuden der Canal Street hoch. Er malte sich aus, wie die gleißenden Militärscheinwerfer die Betonmauer zu einem sonnengedörrten Knochenweiß bleichten, während die Schützen der Nachtschicht in ihren Nestern saßen oder auf dem Laufgang Streife gingen und dabei den toten Songs auf ihren digitalen Musikgeräten lauschten. Die Kräne reglos, vielleicht wurden sie gerade vom Entsorgungsdienst mit Desinfektionslösung abgespritzt. Morgen beim Frühstück würden die Maschinen jaulend über die Mauer langen, die Leichen mit festem, metallenem Griff packen und auf unsere Seite hieven.
Kaitlyn und Gary schliefen. Er widerstand dem Drang, Kaitlyn das
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