Zone One: Roman (German Edition)
Paperback aus der Hand zu zupfen – bei ihren Reflexen würde sie ihn wahrscheinlich ins Auge stechen. In einer Oberflächenschicht ihres Verstandes wahrscheinlich immer noch wach. Als Kind hatte Mark Spitz immer so getan, als schliefe er, wenn sein Vater nachsehen kam, aber er war jedesmal wach, bevor auch nur die Tür aufging. Sein Gehirn verarbeitete die charakteristischen »Ich glaube, ich schaue mal bei meinem Sprössling herein«-Schritte auf dem Flur, und eine Instanz in seinem Bewusstsein weckte ihn rechtzeitig zur Drehung des Türknaufs, dem Knarren bei zehn Grad, dem zweiten Knarren bei fünfundfünfzig Grad und dem unter seine Augen dringenden Splitter von Licht aus dem Flur. Er schlief in der Gewissheit ein, dass jemand über ihn wachte.
Gary und Kaitlyn würden schlafen, bis ihre persönlichen Gefahrenmelder ausgelöst wurden oder der Morgen kam. Sie waren beispielhafte Schläfer, nicht die Sorte Phönie, die die ganze Nacht wachlag und immer wieder ihren privaten Fundus an Greueln Revue passieren ließ. Es war viel effektiver, sich im Wachzustand von derlei heimsuchen zu lassen, es sich für den Moment aufzuheben, wo es sich vielleicht in Treibstoff umwandeln ließ.
Wer war jetzt seine Familie? Ein Gespenst von einem Onkel, das einen knappen Kilometer uptown in einem blauen Gebäude schwebte. Er hatte diese beiden Köter gehabt. Mark Spitz hatte seine Eltern in der Letzten Nacht verloren, und Garys Brüder waren ebenfalls bei jener ersten Welle umgekommen, als die Drillinge sich dem Aufgebot des Sheriffs anschlossen, das sich um den Vorfall an der örtlichen High School kümmerte. Dies zu einer Zeit, als die Dorfbewohner noch glaubten, das Verhängen einer Quarantäne würde es richten. Die sogenannte Zahnfee-Phase.
Die Lehrer-Eltern-Konferenz verlief selbst nach den beklagenswerten Maßstäben der Milton High School unangenehmer als sonst. Die Engagierten, die Empörten und diejenigen, die lediglich versuchten, die Leerstelle zu füllen, die ihr Leben war, hatten sich versammelt, um über den großen Skandal dieses Frühjahrs zu diskutieren: Eine der Oberstufenschülerinnen, eine Lesbe, hatte die Absicht kundgetan, zum Abschlussball ihre Freundin mitzubringen. Das Ganze hatte es als ausgewachsenes Ereignis in die überregionalen Medien geschafft, mit einem Platz auf der Bauchbinde des Kabelfernsehens, Expertenrunden, die das Pro und Kontra erörterten, und peinlichen Graphiken in den Spätnachrichten. Prozesse waren angestrengt worden, die Late-Night-Witzbolde gaben Bonmots von sich, und die Gemeinde Milton wollte feststellen, wie sich dergleichen künftig verhindern ließe.
Jedenfalls war der stellvertretende Direktor am vorangegangenen Nachmittag infiziert worden, als er bei einem Handgemenge zwischen zwei älteren Damen auf dem Parkplatz eines Billigschuhanbieters dazwischengegangen war, und hatte sich den ganzen Tag im Bio-Labor versteckt gehalten. Von dem Lärm angelockt, hatte er die Beratungen voller Elan unterbrochen. Als die Polizei eintraf, verschloss sie im Rahmen der Maßnahmen, die in den Internet-Videos der Regierung über die sich abzeichnende Seuche vorgeschlagen wurden, sämtliche Türen des Gebäudes, trennte unter Nutzung von Sporthalle bzw. Aula die Gebissenen von den Ungebissenen und wartete auf weitere Anweisungen von den Behörden. Die inzwischen nicht einmal mehr die Voicemail-Nachrichten der weniger konsequenten Gemeinden abhörten, von der Entsendung eines Einsatzteams ganz zu schweigen. Es hätte ohnehin keine Rolle gespielt. Es war zu spät. Es war schon immer zu spät gewesen.
Gary und seine Brüder waren ganz aus dem Häuschen über ihre Ernennung zu Deputys und nur leicht enttäuscht, als man ihnen sagte, dass nicht genügend Dienstmarken für alle da seien. Zwar waren sie häufig mit Sheriff Dooley und seinen Beamten aneinandergeraten, aber unter diesen neuen Umständen war ganz offensichtlich, dass es gut war, solche Männer – bodenständige Typen mit Ecken und Kanten – auf seiner Seite zu haben. Sie ließen sich nichts gefallen, ein Charakterzug, der ihren sozialen Aufstieg vordem behindert hatte, nun aber Chancen bot. Man händigte den Brüdern sogar Schusswaffen aus; Gary behielt seine in dem folgenden Wahnsinn fast ein Jahr lang, bis er sie versehentlich fallen ließ, als er aus einem aufgelassenen Kohlenbergwerk in South Carolina abhaute und keine Zeit hatte, stehenzubleiben.
Die Wachen hatten zwölf Stunden lang nichts aus dem Inneren der Schule
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