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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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gehört, als der Sheriff beschloss, hineinzugehen. Sie spähten durch das in die dicken Anstaltstüren eingesetzte, drahtverstärkte Glas und in die Flure, durch die sie sich in ihrer glorreichen Teenagerzeit gerüpelt und gegrapscht hatten. Sahen nichts als Schatten. War das überhaupt noch der Ort, an den sie sich erinnerten? Indem sie ihn irrtümlich für etwas hielten, was sie kannten, stürzten sie sich selbst ins Verderben. Denn sie befanden sich inzwischen in einem ganz anderen Land. Festzuhalten bleibt noch, dass die frühen, unerfahrenen Aufgebote nicht so erfolgreich waren wie die späteren. Die Lernkurve war steil.
    Was Kaitlyn anging, so sah sie ihre Eltern nie wieder, nachdem sie zu ihrer Reise nach Lancaster, Pennsylvania, aufgebrochen war, um ihre beste Freundin Amy zu besuchen. Ein weiteres Mitglied ihrer College-Zimmergemeinschaft kam aus Philly herübergefahren, und es stellte sich heraus, dass sie sich seit dem Examen gar nicht so sehr verändert hatten. Dieselben langweiligen Jungs schlichen, geduldet oder ignoriert, herum, und das Trio musste die Insider-Scherze überhaupt nicht erzwingen. Die Angst, dass es anders sein würde, hatte sie Schlaf gekostet. Doch als das Wochenende vorbei war, brachte der Sunset Dayliner sie nicht zu Heim und Herd zurück. Der Zug rührte sich überhaupt nicht mehr, nachdem man dem Lokführer den Vorfall im Speisesaal gemeldet hatte und er außerhalb von Crawfordsville die Bremse zog, um auf die Nationalgarde zu warten. Kaitlyn saß fest. Ungezählte Missgeschicke später war sie in New York.
    Mark Spitz löschte die Lampe. Draußen durchschnitt mit nachziehenden roten Lichtern eines der bauchigen Transportflugzeuge den Himmel. Soldaten und Experten schaukelten auf den Kübelsitzen, unterwegs wohin? Nach Buffalo oder zu einer improvisierten Landebahn außerhalb eines Camps? Im Gepäck ihre unterschiedliche Munition.
    In den Tagen nach seiner Ankunft in der Zone hatte er über die Theorie des Lieutenants von den Barrikaden nachgedacht. Ja, sie waren das einzige Gefäß, das stark genug war, unseren Glauben zu fassen. Aber dann gibt es noch die persönlichen Barrikaden, dachte Mark Spitz. Seit der erste Mensch dem zweiten Menschen begegnet ist. Diejenigen, die andere Menschen draußen und unseren Wahnsinn drinnen halten, damit wir weiterleben können. So haben wir es schon immer gemacht. Darauf ist dieses Land aufgebaut worden. Die Seuche hat es nur buchstäblicher so werden lassen, es verdeutlicht, falls man es nicht vorher schon kapiert hatte. Wie sollen wir ohne unsere Barrikaden den Tag durchstehen? Dabei brauchte man ihn sich jetzt nur anzusehen, dachte er. Sie waren seine Familie, Kaitlyn und Gary, und er war ihre. Er besaß nichts außer ihnen und den Gesichtern der Toten, mit denen er die der Skels überblendete, diese schäbigen Gummimasken, die er aus den Taschen zog. Er wusste, es war erbärmlich, sie mit sich zu führen, eine tödliche Sentimentalität, aber es wehrte den verbotenen Gedanken ab. Die Gesichter seiner Toten waren Teil seiner Barrikade, auf ganzer Länge des Betons auf Spieße gesteckt.
    Während der Rest der Abschlepper am Korridor blieb, meldete er sich freiwillig für Zone One, weil er aus dieser Gegend hier kam. Lichter gab es in der kaputten Stadt zur Zeit nur wenige. Eine trübe Konstellation umschwebte die Mauer, kleinere Nimben sah man in den Fenstern der Gebäude, die das Personal im entlegenen Wonton mit Beschlag belegt hatten, und in stillen Gebäuden downtown, wo Drohnen wie Mark Spitz die Hände um ihre kleinen Flammen hielten. Nördlich der Mauer waren Dunkelheit und die Toten, die durch diese Dunkelheit schurrten.
    Die Stadt ließ sich wiederherstellen. Wenn sie fertig waren, konnte sie etwas von dem sein, was sie einmal gewesen war. Sie würden ihr eine Ähnlichkeit aufzwingen, die neuen Bürger, die gekommen waren, um die Metropole in Gang zu bringen. Ihre neuen Lichter würden die Schwärze hier und da allmählich durchstechen, bis sie wieder die alte Skyline war, glänzend und trotzig. Die neuen Lichter, die durch den schwarzen Schleier sickerten wie Blutperlen, die Mull durchdringen, bis er davon getränkt ist.
    Ja, er hatte schon immer in New York leben wollen.

SAMSTAG
    »DIE ZEIT VERLANGTE EIN ABBILD
    IHRER EIGENEN AUFGEPUTSCHTEN GRIMASSE.«

ANFANGS FOLGTEN DIE TRÄUME , wenn Nächte in Sicherheit sie gestatteten, einem klassischen Muster von Angst. Er war in die institutionellen Strukturen seiner früheren Existenz –

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