Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
Vom Netzwerk:
bringen jeden Verkehr in Richtung Norden auf der Interstate zum Erliegen. Ausweichen geht nicht. Zurückstoßen auch nicht. Alles sitzt fest. Und dann kommen die Toten zwischen den Bäumen hervor.
    Jetzt war es Zeit, die Fahrspuren freizuräumen. Wenn alles gutginge, würde sich der Nordöstliche Korridor irgendwann von D. C. bis Boston erstrecken, und die kostbare Fracht (Medikamente, Patronen, Nahrungsmittel, Menschen) würde ungehindert die Küste hinauf- und hinuntergelangen. Mark Spitz’ Abschlepptruppe war für einen Abschnitt der I-95 im stinkenden Connecticut und den einen oder anderen Zubringer zuständig und arbeitete vom komfortablen Fort Golden Gate aus. In den Tagen vor dem Sündenfall war der Stützpunkt eine der größten Seniorensiedlungen des Staates gewesen, bekannt für sein Expertentum in den neuesten Trends und Strömungen der Alzheimerbehandlung. Die roten Ziegelsteinmauern um das Gelände, ursprünglich errichtet, um die Umnebelten sicher drinnenzuhalten, hielten nun die mit einer ganz anderen geistigen Behinderung Geschlagenen draußen. Es gab natürlich mehr Maschinengewehrnester.
    Die vielen Fenster der Anstaltsgebäude erlaubten den ständigen Genuss erhebender Sonnenuntergänge – tatsächlich fiel es Mark Spitz schwer, sich nach seiner Bunkerexistenz an so viel Glas zu gewöhnen –, und die früher von aktiven, selbständigen Senioren bewohnten Bungalows waren gegenüber den Schlafsälen in den Siedlungscamps eine deutliche Verbesserung. Der Speisesaal war in lebensfrohen Pastelltönen gehalten, und niemand beschwerte sich, als eines Tages irgendein fehlgeleiteter Arbeiter die alte Tonanlage wieder zum Laufen brachte und die wohltuenden Instrumentals jede Mahlzeit mit einer Endlosschleife aus entwurzeltem Pop begleiteten. Die Bewohner des Forts gondelten in Elektrowägelchen die Asphaltwege entlang, und jede Nacht knisterten die Fenster im blauen Schimmer der Bildschirme, während die ausgedehnte Videobibliothek diese Lakaien des Wiederaufbaus wieder mit den alten, für sie so bedeutsamen Unterhaltungen bekanntmachte. Schwer zu glauben, dass es einmal solche Gesichter gegeben hatte, die schönen mit ihren Verheißungen und Verlockungen.
    Fort Golden Gate, in einem Vorort von Bridgeport gelegen, war ein Knotenpunkt von Wiederaufbauinitiativen. Mark Spitz spielte Poker mit Atomtechnikern, Bauingenieuren und diversen Infrastruktur-Gurus. Von Golden Gate aus wagten sich die ersten Aufklärungsteams nach Manhattan, um die Realisierbarkeit einer dortigen Operation zu erkunden. Monate später erinnerte er sich, wie einige seiner Poker-Kumpel etwas von »Zone One« gemurmelt hatten.
    Der Demographie des Zusammenbruchs entsprechend, stammten die meisten Bewohner von Golden Gate aus dem Nordosten. Es war eine Eigenart des Interregnums: Die Leute neigten dazu, in der Region zu bleiben, zogen in Kreisen umher und prallten vor einer unsichtbaren Barriere zwei Staaten weiter südlich zurück. Eine in imposante Schatten gehüllte Bergkette scheuchte sie in Richtung der Gemeinschaft von Überlebenden, von der die anderen Umherirrenden immerzu faselten. In der Schlange vor der Essensausgabe zitterten und zuckten Mark Spitz’ Drohnenkollegen wie Teilnehmer eines kläglichen PABS -Schönheitswettbewerbs. Wenn er sie beobachtete, schätzte er die Chancen für eine Wiedergeburt der Zivilisation auf fifty-fifty. Besaßen diese ausgemergelten Pilger, selbst wenn der allerletzte Skel morgen zu Boden fiele, die Reserven, um sich aus der Todesspirale herauszuziehen? Würden es die schwermütigen Überlebenden schaffen, sich fortzupflanzen, würden die Babys gedeihen? Welche uralten Leiden und geduldigen Krankheiten würden sie dahinraffen? Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich die Bewohner der Camps zu dementen Relikten zurückentwickelten, zu geschädigt, um irgend mehr zu tun, als in ein, zwei Generationen dem Aussterben anheimzufallen.
    Fifty-fifty. Er war froh, dass er sein eigenes Bett hatte, ein ausziehbares Sofa im Wohnzimmer eines geräumigen und geschmackvoll eingerichteten Bungalows. Die Besitzer hatten ihren Lebensabend damit verbracht, fleißig die spektakulärsten Kreuzfahrten der Welt abzuhaken, und Fotos der großen Schiffe befuhren die Wand über seinem Bett, wenn er schlief. Ein-, zweimal schlich sich das alte Paar in seine aktuellen Traumgeschichten ein, und die Toten spielten Shuffleboard und gingen mit Tellern zu den Büffets für Frühankömmlinge, die jeden Abend eine andere

Weitere Kostenlose Bücher