Zone One: Roman (German Edition)
hatte er niemals jemanden getroffen, der es nach den ersten paar Tagen noch aus der Stadt geschafft hatte. Die Türen ließen sie unverschlossen.
Er wurde zum Connaisseur der Poésie trouvée in der geräumten Barrikade. Der winzige, mühsam geöffnete Spalt zwischen den aufgetürmten Möbeln und der Wohnungstür, durch den sich die Flüchtenden gequetscht hatten. Der breite, einladende Bogen einer alten Kirche, die von Hochhäusern verzwergt worden war, der einzige offene Eingang im ganzen Häuserblock, die Trümmer auf der Treppe bei der Flucht mit dem Fuß zur Seite gestoßen, sodass der freigeräumte Pfad eine Art Teppich für Braut und Bräutigam auf dem Weg zur Hochzeits-Limousine bildete. Und draußen auf dem Land das eine blanke Fenster unter den anderen vernagelten Fenstern im Erdgeschoss des Farmhauses mit seiner Fußmatte aus zersplittertem Glas. Die drinnen hatten einen Fluchtversuch unternommen, und damit endete die Geschichte. Ob sie es geschafft hatten? Es war weniger deprimierend als das Schauspiel der überwundenen Barrikade, der Befestigungen, die nicht standgehalten hatten, mit ihren verwesenden, wettergepeitschten Leichen und den expressionistischen Eruptionen von Rot auf allen Flächen.
Wenn er sich früher Katastrophen- und Horrorfilme angesehen hatte, hatte er sich immer eingeredet, dass er das jeweilige Todesszenario überleben würde: er war zufällig nicht in seinem heimatlichen Postbezirk, wenn die Megatonnen vom Himmel fielen, nicht in Windrichtung des Fallouts, und er würde die Lüftungsöffnungen des Bunkers mit Isolierband abdichten. Er lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Felsvorsprung und rang nach Atem, als der Tsunami ans Ufer wirbelte, und bei der Auslosung um eine Koje in dem Raumschiff, das die Erde verließ, die sich unter dem Einfluss kosmischer Strahlen auflöste, wurde seine Nummer als letzte gezogen, und das zufällig auch noch an seinem Geburtstag. Er würde immer auf logisch zwingende Weise davonkommen, er würde es wie immer schaffen. Er war der einzige Mitwirkende, der die Worte des abgerissenen Propheten im ersten Akt beachtete, und der mutige Typ, der das zum Glück in seiner Socke steckende, geerbte Messer hervorzog und damit an seinen Fesseln herumsäbelte, während die Kannibalenfamilie im Nebenzimmer sich darüber stritt, wann sie ihn zum Essen tranchieren sollten. Er war der Einzige, der übrigblieb, um der skeptischen Welt nach dem Abspann alles zu erklären, der sich in blutgetränkter Latzhose vor den unfähigen lokalen Behörden, Übertragungswagen des Fernsehens und Vertretern von Regierungsstellen den Mund fusselig redete, Leuten, die den halben Film nur damit zubrachten, am Schauplatz einzutreffen. Ich weiß, es klingt verrückt, aber sie sind aus dem radioaktiven Ameisenhaufen gekommen, die Studentinnen waren bei meinem Eintreffen schon tot, Ihr Täter ist das prähistorische Seeungeheuer, baggern sie den See aus, und sie werden die Leichen in seinem Verdauungstrakt finden, Sie werden schon sehen. In seinen Augen begann der eigentliche Film mit dem Ende des ersten, mit der unmöglichen Rückkehr zum Zustand davor.
Das ist die Geschichte, die Mark Spitz an jenem letzten Sonntag erzählte. Aus der Bisswunde spritzte kein Blut mehr. Sie waren nur noch zu zweit, während Kaitlyn sich im vorderen Zimmer mit dem Funkgerät herumärgerte. Gary fragte: »Warum nennen sie dich Mark Spitz?«
»Ich war schon ein paar Monate in Happy Acres, hatte mich für ein paar Arbeitstrupps gemeldet und wollte öfter raus. Mir fehlte das Draußen. Ich hatte alle möglichen Störungen – komische Träume, ein Gefühl von Eingesperrtsein –, seit die Army mich aufgelesen hatte.«
Als der Konvoi Camp Screaming Eagle verließ, hieß Happy Acres noch PA -12; bei seiner Ankunft zwei Tage später war das Schild, das den neuen Namen verkündete, frisch und weiß und roch nach Farbe, und die zerknüllten Schablonen lagen in Haufen bei den Mülltonnen. Buffalo repositionierte die Siedlungen am Markt – CT -6 wurde zu Gideon’s Triumph, VA -2 zu Bubbling Brooks –, und vielleicht wurde auch Mark Spitz repositioniert, vom zernarbten, hohläugigen Streuner zum mitwirkenden Akteur des Amerikanischen Phönix. Er arbeitete im Lager, führte Buch darüber, wie viele Liter Erdnussöl und wie viele Dosen Spargelspitzen hereinkamen und hinausgingen, und kümmerte sich um Pannen bei den Versorgungsverbindungen zwischen den lokalen Camps. Bekam Happy Acres den ihm zustehenden
Weitere Kostenlose Bücher