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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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Verbandpäckchen auf und fuhr fort.
    »Ich bin mit Quiet Storm im vorderen Abschleppwagen gefahren«, sagte er. Quiet Storm gehörte zu den neuen Skinheads, die sich eingedenk ihrer Entbehrungen die Kopfhaut schoren. Das fing damals gerade in den Camps an – wie sollte man sonst einen wie sich selbst erkennen, den Gequältesten der Gequälten? Sie war eine der früh von Buffalos Bergeteams Geretteten, Angehörige eines erbleichten Clans, der ein Jahr eingesperrt im Kellerknast einer kleinstädtischen Polizeistation verbracht hatte, die unglücklichen Schutzbefohlenen eines Wahnsinnigen. Sie redete nicht viel darüber.
    Sie war ein schlanker Windhund, extrem wachsam nach Art derjenigen, die zu oft erlebt hatten, dass ihre Zuflucht überrannt wurde. Jeder war irgendwann überrannt worden, und dann gab es noch diejenigen, die auf einer ganz anderen Ebene von Vielflieger-Status existierten. Sie schliefen nie, blinzelten kaum einmal. Quiet Storm war eine der noch halbwegs Funktionierenden, insofern sie noch sprach und gelegentlich zuließ, dass ein Lächeln ihre Lippen teilte. Vor der jüngsten Verrohung der Welt hatte sie in einer Baumschule gearbeitet und sich dort um Anbau und Pflege der Hecken gekümmert, die das gemeine Volk daran hinderten, die Aristokratie zu begaffen. Kein sehr effektives Material für eine Barriere, dachte Mark Spitz, als er von ihrem Beruf erfuhr, außerstande, sich seine unmittelbare Einschätzung zu verkneifen. Alles war entweder eine Waffe oder eine Mauer und wurde in seiner Nützlichkeit als solche quantifiziert und einsortiert.
    Sie war ihre Gruppenführerin und nahm es sehr genau damit, wie sie ihre Fahrzeuge auf dem Asphalt angeordnet haben wollte: Vielleicht beeinflusste die Zuneigung ihres früheren Berufs zur langen Fluchtlinie ihren Abschleppstil. Manchmal beflügelten Quiet Storms Anweisungen nicht zu Mutmaßungen über ihre Beweggründe; ebenso oft liefen ihre Befehle der Intuition zuwider. So mochte es etwa auf einem ereignislosen Highwayabschnitt nur fünf Autos geben, die die Durchfahrt behinderten, und sie ordnete an, sie im rechten, vielleicht auch in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel abzustellen, obwohl der Standstreifen genügend Platz dafür bot, sie Stoßstange an Stoßstange zu parken. Es gab eine Schule der Auto-Ausrichtung, die behauptete, das Abstellen nach letzterer Methode würde wie ein Wellenbrecher eine Woge von Toten aufhalten, die vom Lärm angezogen wurde; Buffalo war eine Zeitlang ein lautstarker Verfechter dieses Verfahrens. Mark Spitz fiel auf, dass Quiet Storm Muster bevorzugte, die durch fünf teilbar waren, und die Fahrzeuge nach ungefährer Größe, zuweilen auch nach Farbe gruppierte und einen Wagen manchmal sogar kilometerweit schleppte, um ihre Vorstellung zu realisieren. Quiet Storm konsultierte ihren Tablet, ließ den Eingabestift über die Maps huschen und nahm hieroglyphische Eintragungen vor. »Befehle«, sagte sie. Mark Spitz schrieb es aufs Konto sinnloser militärischer Korinthenkackerei oder ihrer Sorte von PABS , die eine oder die andere dieser nicht totzukriegenden Schwächen. Erst später erkannte er die Wahrheit, die darin lag.
    »Was meinst du damit?«
    »Das sage ich dir schon noch.«
    Die Abschlepper teilten das Schrottmeer, lichteten und entwirrten das Chaos. Wenn ein Mammut-Auffahrunfall dazu geführt hatte, dass sich eine Schlange zum Stillstand gebrachter Fahrzeuge kilometerweit erstreckte, löste ihr System sie auf. Sie stellten die Ordnung wieder her. Manchmal gab sich Mark Spitz der Phantasie hin, sie machten für jeden Zentimeter Asphalt, den sie freiräumten, den entsprechenden Zuwachs an Tragödie rückgängig, machten ungeschehen, was auch immer den fehlenden Insassen an Unglück widerfahren war. Er warf sich vor, so zu denken, und konzentrierte sich auf den nächsten aufgetürmten Blechhaufen. Nach einem Monat benutzten kurze Versorgungskonvois die Straßen, die sie freigeräumt hatten, transportierten Limabohnen nach Westen und brachten die Wassertanks zu den leeren Fünfliter-Kanistern. Die Alchimie des Wiederaufbaus. Irgendwann würden die Strecken der Abschleppteams nördlich und südlich von ihnen sich treffen, wie beim Bau der transkontinentalen Eisenbahn. Würden die isolierten Camps und Forts eines nach dem anderen miteinander verbinden, die gerade erst an den Busen der Nation gelockten, unabhängigen Städte miteinander verknüpfen, den lebenspendenden, unabdingbaren Materialfluss wieder in Gang bringen. Sie

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